Klinische Studien für Senioren: Der freiwillige Beitrag zur medizinischen Forschung und Behandlungsfortschritten

Die Zahl der Senioren wächst und alle wollen ein selbstbestimmtes, aktives Leben bis ins hohe Alter führen können. Die Voraussetzung dafür ist eine stabile Gesundheit – ein Leben lang.
Für die medizinische Versorgung von älteren oder auch hochaltrigen Patienten müssen jedoch besondere Bedürfnisse berücksichtigt werden. Das gilt vor allem für Menschen mit Mehrfacherkrankungen, die mit fortschreitendem Alter eher die Regel als die Ausnahme werden.
Um diese Bedürfnisse besser befriedigen zu können, sind aber klinische Studien notwendig, die in ihrer Ausrichtung stärker auf ältere Patienten zugeschnitten sind. Dafür braucht es, neben den entsprechenden Studien, auch die Bereitschaft der Zielgruppe, an den Untersuchungen teilzunehmen. So können Senioren einen wichtigen Beitrag für eine bessere, angemessenere Gesundheitsversorgung leisten.
Senioren und klinische Studien: Häufig unterrepräsentiert
Menschen jenseits der 60 sind im Zuge der Corona-Pandemie als mögliche Risikogruppen stärker in den Fokus gekommen. Dennoch ist diese Gruppe in klinischen Studien bislang häufig unterrepräsentiert oder wird bisweilen gar nicht berücksichtigt. Je älter die Menschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es keine auf sie zugeschnittenen Studien-Designs gibt.
Darauf hat das Deutsche Ärzteblatt bereits 2018 in einem Artikel hingewiesen. Die Schwierigkeit hinter den klinischen Studien, die mit jüngeren Patienten durchgeführt werden: Sie sind in der Regel auf Monopathologie ausgerichtet, widmen sich also nur einem bestimmten Krankheitsbild. Dadurch sind die Ergebnisse dieser Studien nur schwer auf Senioren zu übertragen – im schlimmsten Fall ist das sogar mit Risiken verbunden.

Die Zahl der älteren Menschen wächst deutlich, aber in klinischen Studien sind sie meistens nicht ausreichend vertreten. | © Lumos sp – stock.adobe.com
Unterschiedliche Voraussetzungen in den einzelnen Fachbereichen
Zu den besonderen Bedingungen, die die medizinische Versorgung für ältere Menschen prägen, zählen Polypharmazie und Multimorbidität. Das heißt: Es geht um Patienten, die
- gleichzeitig mehrere verschiedene Medikamente einnehmen müssen und
- mehrere Erkrankungen aufweisen, die oft chronisch sind.
Medikation und Therapien müssen darauf abgestimmt werden, etwa um unerwünschte Wechselwirkungen der Medikamente oder die Beeinflussung anderer Therapieansätze zu vermeiden.
Auf diese Herausforderungen sind die einzelnen medizinischen Fachgesellschaften sehr unterschiedlich eingestellt. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft etwa unterhält eine Arbeitsgemeinschaft „Geriatrie und Pflege“, die sich mit den Bedürfnissen älterer Menschen befasst.
Umgekehrt findet sich in den Allgemeinen und entitätsübergreifenden Leitlinien für onkologische Behandlungen keine, die sich speziell mit älteren Patienten befasst. Dabei werden Krebsdiagnosen meist im Alter von über 65 Jahren diagnostiziert. In klinischen Studien hingegen ist diese Altersgruppe weniger vertreten, als ihr Anteil an diagnostizierten Fällen vermuten ließe.
Klinische Studien im Zeichen des demografischen Wandels
So, wie sich die Altersstruktur der Gesellschaft in Deutschland entwickelt, wäre es nur folgerichtig, die besonderen Bedürfnisse und medizinischen Herausforderungen der Altersgruppe ab 60 Jahren stärker zum Schwerpunkt klinischer Studien zu machen.
Laut Daten des Statistischen Bundesamtes lag im Jahr 2022 der Anteil von Menschen, die 60 Jahre oder älter sind, bei fast 25 Prozent. Dazu kommt die Altersgruppe der 40- bis 59-jährigen mit einem Anteil von 23 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil an jungen Menschen von einem bis 24 Jahren liegt insgesamt bei lediglich knapp unter 20 Prozent. Das bedeutet, die Zahl der älteren Menschen steigt kontinuierlich an – und das bedeutet eine zusätzliche Herausforderung im Hinblick auf die medizinische Versorgung der immer größer werdenden Gruppe von Senioren.
Aus diesen Gründen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits 2017 damit begonnen, gezielt klinische Studien im Alter zu fördern. Im Rahmen der Förderinitiative „Gesund – ein Leben lang“ sollen genau die Evidenzen gefunden werden, die durch den bislang geringen Anteil älterer und hochaltriger Patienten gefehlt haben, um den besonderen medizinischen Bedürfnissen dieser Menschen gerecht zu werden.
Hinweis: Förderung von klinischen Studien im Alter
Insgesamt fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung 13 Einzelvorhaben und zwei Verbünde über den Zeitraum von 2017 bis 2027. Dafür stellt das BMBF Fördergelder von insgesamt bis zu 10 Millionen Euro bereit und unterstützt damit beispielsweise Forschungen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Interventionen zur Reduktion von Schmerzen bei älteren Demenzpatienten.
Was sind klinische Studien überhaupt?
Eine erfolgreiche klinische Studie ist die Voraussetzung dafür, dass ein neues Medikament für den Markt zugelassen werden kann. Die Studien dienen dazu, die Wirksamkeit von Arzneimitteln, aber auch von neuen Behandlungsmethoden zu prüfen. Dies geschieht immer unter der Prämisse, dass die Wirkung besser ist als bei Scheinpräparaten oder bisherigen Behandlungsansätzen.
Mit Hilfe von klinischen Studien soll außerdem ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse von neu entwickelten Therapien oder Medikamenten keine Zufälle oder Einzelerfahrungen sind. Um zuverlässige und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, werden diese Studien deshalb immer mit einer größeren Anzahl an Patienten durchgeführt.
Statistische Verfahren bei der Planung sowie systematische Kontrollen und Auswertungen sorgen dafür, dass sich Nutzen und Eignung von Therapien und Medikamenten besser vorhersagen und einordnen lassen.

Klinische Studien dienen dazu, unter Einhaltung strenger Vorgaben neue Arzneimittel und Behandlungen an Patienten zu testen. | © Kzenon – stock.adobe.com
Verschiedene Studien für die Erprobung von Medikamenten und Verfahren
Klinische Studien unterliegen strengen Regularien und sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigungspflichtig. Das heißt, die Genehmigung für geplante Studien muss gemäß Arzneimittelgesetz vor dem Beginn bei dieser Behörde beantragt werden. Daneben müssen Mitteilungspflichten während der Durchführung eingehalten werden.
Zu unterscheiden sind drei verschiedene Typen von Studien:
- Präklinische Studien finden im Labor statt. Sie umfassen Untersuchungen der physikalischen und chemischen Eigenschaften von neuen Wirkstoffen oder Behandlungsmethoden. Mit experimentellen Tests wird nach Hinweisen zum Wirkmechanismus, zu möglichen Nebenwirkungen, zur Dosierung und zur Verträglichkeit gesucht.
- Klinische Arzneimittelprüfungen sind die Voraussetzung dafür, dass Arzneimittel in Deutschland überhaupt verschrieben und verkauft werden dürfen. Um die notwendige Zulassung zu erhalten, müssen sowohl Medikamente als auch technische medizinische Geräte ein mehrphasiges Prüfverfahren durchlaufen. Diese Prüfungen bedeuten außerdem erste Tests an Menschen – sofern die präklinischen Studien erfolgversprechende Ergebnisse liefern konnten.
- Therapieoptimierungsprüfungen drehen sich um anerkannte, verbreitete Behandlungsmethoden und zielen darauf ab, bessere Ergebnisse zu erreichen. Das kann größere Heilungschancen bedeuten oder eine Verbesserung der Lebensqualität. Zu diesem Zweck ist es üblich, die zeitliche Abfolge von Behandlungsmethoden zu verändern oder die Dosierung umzustellen. Im Vergleich zu klinischen Arzneimittelprüfungen sind die Risiken für die Patienten dabei sehr viel kleiner, weil die Wirksamkeit bereits bestätigt ist.
Durchführung von klinischen Studien
Bei klinischen Studien stellt sich immer die Frage, wie die Zuverlässigkeit der Ergebnisse gewährleistet werden kann. Äußere Einflussfaktoren, die die Resultate beeinflussen könnten, müssen deshalb so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, individuelle Fitness – diese und weitere Faktoren können sich auf die Studienergebnisse auswirken.
Um dennoch gut vergleichbare Bedingungen zu schaffen, gibt es verschiedene Herangehensweisen:
- Randomisierung bedeutet, dass die zuvor ausgewählten Studienteilnehmer zufällig auf die Behandlungsgruppen aufgeteilt werden. Damit soll eine objektive Verteilung sichergestellt werden, damit es nicht eine Gruppe mit einem größeren Anteil jüngerer oder stärker erkrankter Probanden gibt.
- Placebos sind gewissermaßen „Scheinmedikamente“ ohne tatsächliche Wirksamkeit. Sie werden genutzt, um psychisch beeinflusste Wirkungen der getesteten Arzneimittel von wirklichen zu unterschieden.
- Verblindung wird genutzt, damit die Erwartungshaltung der Studienteilnehmer nicht zu psychischen Wirkungen oder Nebenwirkungen führt, ähnlich wie beim Einsatz von Placebos. Bei einer Blindstudie wissen die Patienten nicht, welches Präparat sie zur Einnahme erhalten. Die Zuteilung der Placebo- und Medikamentengruppe wird erst bei der Studienauswertung aufgelöst.
- Doppelblindstudien gehen noch einen Schritt weiter als bei der Verblindung: In solchen Studien wissen auch die Ärzte im Vorfeld nicht, welche Teilnehmer welches Präparat erhalten. Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein Arzt unbewusst die Studie beeinflusst (durch anderes Verhalten gegenüber Patienten, intensivere Betreuung oder andere Beurteilungen von auftretenden Nebenwirkungen).
Neben den strengen gesetzlichen Vorgaben sorgen auch internationale Standards dafür, dass die Sicherheit während der Studiendurchführung gewährleistet ist. Dazu gehören die Leitlinien der sogenannten „Good Clinical Practice“. Außerdem werden Studien von qualifizierten Gremien überprüft, bevor die Untersuchungen tatsächlich beginnen.

Gesetzliche Vorgaben und Leitlinien stellen sicher, dass sowohl die Studienteilnehmer als auch die Ergebnisse bestmöglich geschützt werden. | © Supapich – stock.adobe.com
Teilnahme an klinischen Studien – worauf müssen Sie achten?
Klinische Studien sind die Grundlage, um die medizinische Versorgung immer weiter zu verbessern. Die Ergebnisse tragen dazu bei, wirksamere und verträglichere Medikamente und effektivere Behandlungsmethoden zu entwickeln. Es gibt aber auch gute Gründe, nicht erst auf die Resultate der Studien zu warten, sondern sich aktiv an diesen zu beteiligen.
Warum sich die Teilnahme an einer klinischen Studie lohnt
Ein wichtiger Grund ist, durch die eigene Teilnahme mithelfen zu können, Arzneimittel und Therapiemöglichkeiten für sich und andere Menschen zu verbessern. Das Mitwirken an einer klinischen Studie ist sozusagen der persönliche Beitrag zu einem Erkenntnisgewinn, der von gesellschaftlicher Bedeutung sein kann.
Abgesehen davon hat die Teilnahme für Sie selbst einige Vorteile:
- Sie erhalten – insbesondere bei Therapieoptimierungsprüfungen – die beste bis dahin bekannte Behandlung.
- Ebenso erhalten Sie bereits Zugang zu neuen Medikamenten und Behandlungstechniken, bevor diese für den Markt freigegeben werden.
- Als Studienteilnehmer werden Sie zudem während des gesamten Studienverlaufs besonders intensiv und engmaschig betreut, behandelt und überwacht.
Hinweis: Niemals an mehreren klinischen Studien gleichzeitig teilnehmen
Die Teilnahme an klinischen Studien wird häufig vergütet. Das erhöht den (finanziellen) Anreiz, an mehreren solcher Verfahren teilzunehmen. Davon ist jedoch unter allen Umständen abzuraten – denn es ist gesetzlich verboten. Es besteht die Gefahr, die Studienergebnisse zu verfälschen. Davon abgesehen ist das Risiko für die Gesundheit unberechenbar. Deshalb sollten Sie niemals gleichzeitig an mehreren klinischen Studien teilnehmen.
Sichere Teilnahme an Studien: Das sind Ihre Rechte
Die Deklaration von Helsinki hält seit 1964 die Grundsätze fest, mit denen Studienteilnehmer im Verlauf einer Studie vor unnötigen Risiken geschützt werden sollen. Der Weltärztebund hat darin verankert, dass Risiken für Patienten und der mögliche Nutzen sehr genau abgewogen werden müssen.
Zu den Grundvoraussetzungen gehört außerdem, dass die Studie sorgfältig geplant und protokolliert werden muss. Für die Durchführung kommen nur Ärzte mit besonderer Erfahrung in Frage.
Dazu stehen Ihnen als Studienteilnehmer verschiedene Rechte zu, die Ihre Sicherheit garantieren sollen. Diese umfassen
- das Recht auf ausführliche Informationen. Dazu sollte es einen Ansprechpartner geben, der Ihnen bei eventuellen Fragen die gewünschten Antworten geben kann.
- das Recht auf eine streng vertrauliche Behandlung Ihrer medizinischen Daten, das heißt zum Beispiel, dass die Auswertung nur anonym erfolgen darf.
- das Recht auf eine Probandenversicherung, die vorgeschrieben ist bei klinischen Studien.
- das Recht auf einen Abbruch der Behandlung durch den betreuenden Arzt, sollte es zu erheblichen Nebenwirkungen oder Komplikationen kommen.
- das Recht, Ihre Zustimmung zur Teilnahme jederzeit und ohne Nachteile wieder rückgängig machen zu können.
Das sind Ihre Pflichten als Studienteilnehmer
Als Teilnehmer einer klinischen Studie haben Sie jedoch gleichzeitig bestimmte Pflichten einzuhalten. Dabei geht es etwa darum, dass Sie mit Ihrer Unterschrift zustimmen, die vorgesehene Behandlung zu absolvieren. Ihr Einverständnis wird außerdem benötigt, um die erhobenen Daten anhand Ihrer Krankenakte zu überprüfen.
Sie sind dazu angehalten, alle vereinbarten Behandlungs- und Kontrolltermine wahrzunehmen und sich bei gesundheitlichen Veränderungen oder Auffälligkeiten umgehend bei Ihrem Studienarzt zu melden.
Weitere Pflichten betreffen die Auskunft über Medikamente, die sie einnehmen sowie über zusätzliche Behandlungen durch den Hausarzt. Begleitende Fragebögen, mit denen Ihr Befinden oder mögliche Beschwerden erfasst werden sollen, sind von Ihnen wahrheitsgemäß auszufüllen.
Letztendlich drehen sich die Pflichten von Studienteilnehmern vorwiegend darum, diese und die Ergebnisse der Studie zu schützen. Die von Ihnen verlangten Pflichten sind somit eine weitere Maßnahme, um Ihr Wohlergehen während der Studie sicherzustellen.