Knoten im Kopf
Leben als umgeschulter Linkshänder
Viele wissen gar nicht darum, einige stören sich nicht weiter daran, nur wenigen werden früher oder später die Folgen einer Umerziehung von Links- auf Rechtshändigkeit klar. Heute wird in der Schule kein Kind mehr zur Benutzung einer Hand gezwungen, doch älteren Semestern wurde in der ersten Klasse durchaus noch die Liebe zum schönen Händchen gelehrt. Wenn überhaupt, so tritt hier die angeborene Händigkeit nur noch in seltenen Fällen wie zum Beispiel beim Werfen, Fußballspielen, Schneiden oder Blättern zutage.
Wissenschaftler sind sich heute einig: Ein Linkshändergehirn bleibt immer ein Linkshändergehirn. Eine Umschulung, wie sie in den alten Bundesländern bis in die Siebziger-, in den neuen bis in die Achtzigerjahre hinein praktiziert wurde, führt lediglich zur Unterforderung der einen und zur Überforderung der anderen Hirnhälfte. Während also die dominante rechte Hälfte, die ja kreuzweise mit den Externa verbunden ist, stark unterfordert wird, ist die andere Seite dem rechten Händedruck kaum gewachsen.
Die Auswirkungen falsch geschulter Händigkeit
Primäre Auswirkungen sind laut Linkshandforschung Gedächtnis-, Konzentrations-, Sprach- und feinmotorische Störungen, legasthenische Probleme sowie eine gewisse Raum-Lage-Labilität. Die sekundären Folgen, die sich teils aus den primären ableiten, sind vielfältig und zeigen sich in Symptomen wie Unsicherheit, Zurückgezogenheit, Minderwertigkeitskomplexen und Verhaltensstörungen, aber auch Kompensationsstreben durch erhöhtem Leistungseinsatz.
Studien legen nahe, dass sechzig Prozent aller Psychotherapiefälle eine linkshändige Vergangenheit haben. Kein Wunder, wenn man davon ausgeht, dass nicht nur offizielle 25 Prozent, sondern jeder zweite Deutsche als Linkshänder geboren wird. Allerdings übernehmen die meisten bereits lange vor der Einschulung unsere rechtshändige Kultur, passen sich unbewusst ihren Vorbildern, teils umgeschulten Linkshändern, an.
Dass es sinnvoll sein kann, sich seine angeborenen Stärken bewusst zu machen, dafür setzen sich Psychologen wie Johanna Barbara Sattler, die unter anderem 2004 die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. zur Untersuchung der Händigkeit entwickelt hat, seit vielen Jahren ein.
Händigkeit – Bedeutung und Untersuchung
„Die Händigkeit ist eine charakteristische Eigenschaft einer Person, die sich auf ihre Entwicklung zur Persönlichkeit auswirkt und die zu respektieren ist. Händigkeit ist eine biologisch determinierte phänomenologische Eigenart und deshalb auch ein inhärenter Wesensbestandteil eines Menschen. Die Respektierung der Händigkeit im Alltag und damit auch im Arbeitsleben ist ein Bestandteil der Persönlichkeitsrechte und darunter des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Erkenntnisse aus der Hirnforschung zeigen, dass eine Umschulung von linkshändigen Menschen zum ‚pseudodominanten‘ Gebrauch der rechten Hand mit negativen Folgen für die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten einhergehen kann.“
Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.
Rückschulung nicht immer sinnvoll
Grundsätzlich ist eine Rückschulung in jedem Alter möglich. Ob diese aber tatsächlich sinnvoll ist, hängt stark vom Leidensdruck ab und der Bedeutung und Rolle des Schreibens im gegenwärtigen Leben des Betroffenen. Durch den Wechsel zur dominanten Hand kommt es vorübergehend zu einer neuerlichen Überforderung des Gehirns, mit allen negativen primären Folgen. In jedem Fall sollten sich Rückschulwillige im Vorfeld beraten lassen.