Medizin als Raketentechnik
Wie Weltraumforschung unsere Gesundheit revolutioniert
Satelliten, Klettverschluss, Rettungsdecke und Handstaubsauger – Weltraumforschung hat unseren Alltag mal mehr, mal weniger bereichert. Seit bald 20 Jahren ist das fliegende Labor ISS im Orbit unterwegs und liefert unablässig neue Forschungsergebnisse, auch im Bereich der Medizin. Dabei sind vor allem die Untersuchungen zu Knochen- und Muskelschwund für Osteopatiepatienten äußerst vielversprechend.
Das Höchste Gut eines jeden Menschen ist sicherlich seine Gesundheit. Kein Wunder, dass für Forschung und Entwicklung im medizinischen Bereich große Summen investiert werden. So zählen medizinische Technologien seit Jahrzehnten zu den Spitzenreitern unter den europäischen Patentanmeldungen und Deutschland mit 1340 Anmeldungen allein im Jahr 2017 zu den führenden Nationen.
Viele Entwicklungen des Medizinmarktes wären ohne eine interdisziplinäre außerirdische Grundlagenforschung in Materialwissenschaften, Physik, Biologie und Medizin nicht vorstellbar. Als mit 28.000 Stundenkilometern schnellste Intensivstation der Welt liefert die ISS aber auch ganz praktische Ergebnisse zu einem der riskantesten Experimente überhaupt: dem Leben unter Extremtemperaturen, hoher Strahlenbelastung, in Schwerelosigkeit und nahezu vollständiger Isolation.
Forschungsfeld Telemedizin
In diesem menschenfeindlichen Milieu schlagen sich Ärzte mit ganz irdischen Problemen herum. Die Gewährleistung einer bestmöglichen Gesundheitsversorgung über große Distanzen hinweg, wie sie die Telemedizin auch für entlegene Regionen auf der Erde, schwerzugängliche Katastrophengebiete oder für strukturschwache Landkreise wie in Bayern oder Niedersachsen möglich machen will.
Dabei überbrückt die Telemedizin nicht nur große Entfernungen, sondern sorgt für eine hoch effiziente Distribution medizinischer Daten und fachärztlichen Wissens. Anwendung findet diese neue Form medizinischer Versorgung beispielsweise in Frankreich, wo Diabetespatienten auf dem Land am sogenannten DIABSAT-Programm teilnehmen können.
Möglich machen solche Projekte in der Raumfahrttechnik entwickelte Apparate zur Erhebung medizinischer Daten, die auch von medizinischen Laien oder Hilfspersonal bedient werden können. So werden Ulraschallgeräte von Ärzten inzwischen ferngesteuert oder Blutdruck- und EKG-Daten chronisch kranker Menschen automatisiert an die mit der Auswertung betrauten Krankenhäuser übermittelt.
Was vom Weltraum übrig blieb – aktuelle Anwendungen aus der Weltraumforschung
- Eine Software zur Analyse benachbarter Galaxien soll inzwischen auch zur Diagnose von schwarzem Hautkrebs herangezogen werden.
- Eine hochauflösende Kamera zur Beurteilung der Gleichgewichtsfunktionen, registriert selbst kleinste Bewegungen der Augen und wird deshalb bei Laser-OPs am Auge verwandt.
- Ein Bioreaktor zur Steuerung des Wachstums von künstlichem Zellgewebe soll dreidimensionale Strukturen wie Knorpel für Gelenkreparaturen ermöglichen.
Muskel- und Knochenschwund
Eines der prominentesten Forschungsfelder ist jedoch sicherlich der Muskel- und Knochenschwund, unter dem topfitte Astronauten genauso leiden wie ältere Menschen auf der Erde – allein 5 Millionen in Deutschland. Die Behandlung der Spätfolgen werden auf Kosten von rund 5 Milliarden Euro jährlich beziffert. Osteoporose zählt damit zu den teuersten Volkskrankheiten unserer Zeit.
Wurde Patienten früher noch vor allem Ruhe verschrieben, weiß man aus der Weltraumforschung heute, dass vor allem Sport den Abbauprozess stoppen kann. Ein passendes Trainingsgerät liefert die Raumfahrttechnik dazu gleich mit – ein Trainingsgerät names Power-Plate, welches die Muskeln über 20 Mal pro Sekunde durch Vibrationen kontrahieren lässt.
Das Ergebnis: Bei bettlägerigen Probanden konnte schon durch ein bis zwei maximal dreiminütige Anwendungen täglich sowohl der Muskelschwund als auch der Rückgang der Kochendichte deutlich verlangsamt werden. Auch bei Frauen in der Menopause wird das Sportgerät bereits angewandt, um den Knochenabbau durch Osteoporose zu verzögern.
Auch der in Russland entwickelte Belastungsanzug „Pinguin“, den Kosmonauten bereits seit Mitte der Siebzigerjahre auf ihren Orbitalflügen gegen Muskel- und Knochenschwund tragen, wird in leicht angepasster Version von vielen Kliniken zur Behandlung von Parkinson und Kinderlähmung genutzt. Das Geflecht aus elastischen Bändern belastet den Bewegungsapparat künstlich und kann so motorische Störungen mindern.
Seit dem Wegfall der politischen Mission, sucht die Weltraumforschung verstärkt die gewinnbringende Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Durch die enge Partnerschaft finden Entwicklungen schneller eine praktische Anwendung – auch auf dem Gesundheitsmarkt.