Barrierefrei, behinderten-, senioren- und rollstuhlgerecht: Was diese Begriffe eigentlich bedeuten
Was genau macht eine barrierefreie Wohnung eigentlich barrierefrei – und ist sie dann gleichzeitig auch rollstuhlgerecht? Erfüllt sie die Anforderungen an senioren- bzw. altersgerechtes Wohnen? Ist sie dadurch automatisch behindertengerecht, wenn Barrieren beim Bau und bei der Einrichtung vermieden wurden?
Wenn es um die Gestaltung von Wohnraum für besondere Erfordernisse geht, geraten die Begrifflichkeiten schnell durcheinander oder werden synonym verwendet. Dabei ist längst nicht jedes Haus und jede Wohnung rollstuhlgerecht, nur weil sie als barrierefrei deklariert wurde. Noch schwieriger wird es beim Thema seniorengerechtes Wohnen, weil dafür keine verbindlichen Vorgaben bestehen.
Deshalb erläutern wir ausführlich, was die einzelnen Begriffe bedeuten – und wie sie sich voneinander unterscheiden.
Was bedeutet „barrierefrei“?
Grundsätzlich umfasst der Begriff „Barrierefreiheit“ sämtliche Lebensbereiche. Vor allem Menschen mit Behinderung soll mit einer barrierefreien Gestaltung der Umwelt geholfen werden, selbstständig und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Deswegen geht das Konzept deutlich über die oftmals gängigen Vorstellungen von Rampen an Treppen oder ähnlichen Hilfsmitteln hinaus.
Die Verwendung leichter Sprache oder der Einsatz akustischer Signale als Ergänzung zu optischen (etwa bei Ampeln) sind ebenfalls Maßnahmen, die für mehr Barrierefreiheit sorgen können. Prinzipiell sind solche Mittel dazu da, dass alle Menschen gleichberechtigt und ohne Nachteile leben können.
Definition von Barrierefreiheit nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), Paragraf 4:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“
Barrierefreies Wohnen – was ist das?
Um als barrierefrei zu gelten, muss eine Wohnung bestimmte Vorgaben erfüllen. Denn der Begriff ist gesetzlich definiert – genauso wie „rollstuhlgerecht“ übrigens. Wie Barrierefreiheit umgesetzt werden sollte, wird wiederum in der DIN 18040 beschrieben. Sie ist die Grundnorm für barrierefreies Bauen und Planen und umfasst
- DIN 18040-1 für öffentlich zugängliche Gebäude,
- DIN 18040-2 für Wohnungen sowie
- DIN 18040-3 für öffentlichen Verkehrs- und Freiraum.
Alle relevanten Vorgaben zur barrierefreien Ausstattung von Wohnungen und den hierfür geforderten Merkmalen sind in DIN 18040-2 aufgeführt. Sie befasst sich mit
- Flächen und Platzbedarf,
- der Gestaltung von Wegen, Rampen und Treppen,
- dem Einsatz von Aufzügen,
- den Anforderungen von Türen, Fenstern sowie den verschiedenen Wohnungsbereichen (Bad und WC, Küche und Essplatz, Freisitz).
Merkmale barrierefreier Wohnung nach DIN 18040-2
Die ausführlichen Angaben und Anforderungen der DIN 18040-2 lassen sich hier nicht vollständig abbilden. Damit Sie dennoch einen Eindruck davon erhalten, was bei der Planung und Gestaltung von barrierefreiem Wohnraum zu beachten ist, geben wir Ihnen einige Beispiele.
In den öffentlichen Bereichen von Wohngebäuden etwa gilt:
- Gehwege müssen über eine Breite von mindestens 1,20 m verfügen und schwellenlos, gut befahrbar und mit Orientierungshilfen ausgestattet sein.
- Auch für Rampen gilt eine Breite von mindestens 1,20 m. Sie benötigen einen beidseitigen Handlauf mit Radabweiser und dürfen nur eine maximale Steigung von 6 Prozent vorweisen.
- Treppen sollen gerade verlaufen und beidseitig mit einem Handlauf ausgestattet sein.
Im privaten Wohnbereich sind folgende Vorgaben einzuhalten:
- Bewegungsflächen in Fluren, Wohn- und Schlafräumen sowie Balkon sollten mindestens 1,20 x 1,20 m groß sein.
- Die Abmessungen von Türen sind in der DIN 18040-2 mit 0,80 m Breite und 2,05 m Höhe angegeben. Sie sollten sich mit geringem Kraftaufwand öffnen und schließen lassen.
- Fenster sollten auch in sitzender Position einen Blick auf die Umgebung erlauben und sich mit wenig Kraftaufwand öffnen lassen.
- Das WC muss mindestens 0,70 m tief und darf maximal 0,46 bis 0,48 m hoch sein. Für die Dusche fordert die Norm rutschhemmende Bodenbeläge sowie eine niveaugleiche Gestaltung zum Badezimmerboden.
- Der Balkon muss ebenfalls schwellenlos zugänglich sein.
Die DIN 18040-2 enthält selbstverständlich noch sehr viel detailliertere Angaben dazu, was eine barrierefreie Wohnung ausmacht. Für Aufzuganlagen zum Beispiel müssen nicht nur die üblichen Anforderungen bezüglich Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzung beachtet werden. Die Befehlsgeber (also die Knöpfe/Tasten im Aufzug), Anzeigen und die Notruffunktion müssen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip gestaltet werden.
Was bedeutet „rollstuhlgerecht“?
Obwohl die Definition von Barrierefreiheit eine Gestaltung der Lebensumwelt beinhaltet, die auch die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel berücksichtigt, bedeutet „barrierefrei“ nicht automatisch „rollstuhlgerecht“. Das zeigt der Blick in die DIN 18040-2.
Während öffentlich zugängliche Bereiche von Wohngebäuden (d. h. Zufahrtswege, Garagen und Flure) grundsätzlich mit dem Rollstuhl befahrbar sein müssen, gilt das für barrierefreie Wohnungen zunächst nicht. Damit aus einer barrierefreien eine rollstuhlgerechte Wohnung wird, muss sie zusätzliche Anforderungen erfüllen.
Anforderungen an rollstuhlgerechte Wohnungen
Die Unterscheidung zwischen „barrierefrei“ und „rollstuhlgerecht“ ist ebenfalls der DIN 18040-2 zu entnehmen. Die Norm gibt an, inwieweit die Abmessungen von Bewegungsflächen, Türen etc. angepasst werden müssen, um eine uneingeschränkte Nutzung mit dem Rollstuhl zu gewährleisten.
Die Unterschiede sehen im Einzelnen wie folgt aus:
Bewegungsflächen (Flur, Wohnräume, Balkon/Terrasse):
- barrierefrei: mindestens 1,20 x 1,20 m
- rollstuhlgerecht: mindestens 1,50 x 1,50 m
Türen:
- barrierefrei: 0,80 m breit; 2,05 m hoch
- rollstuhlgerecht: 0,90 m breit; 2,05 m hoch; Türspion auf einer Höhe von 1,20 m; Türdrücker auf einer Höhe von 0,85 m
Rollstuhlstellplätze:
- rollstuhlgerecht: mindestens 1,80 x 1,50 m
Fenster:
- barrierefrei: Durchblick in sitzender Position möglich
- rollstuhlgerecht: Fenstergriff auf einer Höhe von 0,85 bis 1,05 m (alternativ ein automatisches System zum Öffnen und Schließen der Fenster)
Küche:
- rollstuhlgerecht: Mindesttiefe von 1,50 m vor den Küchenmöbeln, Herd, Arbeitsplatte und Spüle müssen unterfahrbar sein
WC:
- barrierefrei: 0,70 m tief; 0,46 bis 0,48 m hoch
- rollstuhlgerecht: 0,70 m tief; 0,46 bis 0,48 m hoch; muss über Rückenstütze, Stützklappgriffe sowie eine erreichbare Spülung und Toilettenpapierhalter verfügen
Waschplatz:
- rollstuhlgerecht: Waschtisch mit einer Vorderkantenhöhe von maximal 0,80 m; muss unterfahrbar sein mit einer Tiefe von mindestens 0,55 m; Beinfreiraum mit einer Breite von mindestens 0,90 m unter dem Waschtisch muss gewährleistet sein
Duschbereich:
- barrierefrei: Rutschhemmende Bodenbeläge; niveaugleiche Gestaltung zum angrenzenden Boden
- rollstuhlgerecht: Dusch-Klappsitz und hochklappbare Stützgriffe müssen nachgerüstet werden können
Badewanne:
- rollstuhlgerecht: eine nachträglich aufstellbare Wanne muss mit einem Lifter nutzbar sein
Im öffentlichen Raum sind Rollstuhlfahrer im Hinblick auf Barrierefreiheit also immer eingeschlossen. Für das private Wohnumfeld trifft das aber nur bedingt zu, weil nicht öffentlich zugängliche Bereiche Anforderungen erfüllen müssen, die über eine barrierefreie Gestaltung hinausgehen.
Warum „barrierearm“, „schwellenarm“ oder „barrierereduziert“ nicht unbedingt „barrierefrei“ sein müssen
Wer auf Wohnungssuche geht, sollte die hinterlegten Eigenschaften der Wohnungen bisweilen genauer überprüfen. Nicht selten sind Angaben wie „barrierearm“, „schwellenarm“ oder „barrierereduziert“ zu finden. Sie suggerieren zunächst Barrierefreiheit, allerdings gibt es für diese Begriffe keine gesetzliche Grundlage – und damit keine verbindlichen Vorgaben für die Gestaltung.
Es ist daher möglich, dass das Haus oder die Wohnung über das eine oder andere Ausstattungsmerkmal verfügen, das eine barrierefreie Nutzung ermöglicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die gesamte Anlage die gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen an Barrierefreiheit erfüllt. Ein Aufzug, Treppenlift oder eine ebenerdige Dusche reichen für sich genommen dafür nicht aus.
Was bedeutet „seniorengerecht“ oder „altengerecht“?
Im Gegensatz zu „barrierefrei“ und „rollstuhlgerecht“ gibt es für die Begriffe „seniorengerecht“ oder „altengerecht“ (oder auch „altersgerecht“) keine gesetzliche Bestimmung, also auch keine verbindlichen Vorgaben. Dabei spielt die altersgerechte Gestaltung von Wohnraum inzwischen eine große Rolle, da der Anteil älterer Menschen kontinuierlich ansteigt.
Die Ausstattung von Haus und Wohnung trägt maßgeblich dazu bei, dass Senioren selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben können. Die Frage ist allerdings, wie eine Wohnungsausstattung aussehen müsste, damit sie ausreichend auf die Erfordernisse des Alterns abgestimmt ist.
Klare Antworten gibt es hierauf leider nicht. Da die gesetzliche Definition fehlt, können durchaus Wohnungen ohne besondere Vorkehrungen für das eigenständige Leben im Alter beworben werden. Unter Umständen wird die Nähe zu Ärzten oder Apotheken bereits als Merkmal seniorengerechten Wohnens angeführt.
Dass eine seniorengerechte Gestaltung zwingend barrierefrei sein muss, genügend Raum für Rollstuhl oder Rollator lässt und Haltegriffe in Badezimmern und auf Toiletten vorweist, wurde von gerichtlicher Seite schon abgewiesen. Damit bleiben „seniorengerecht“ und „altengerecht“ vorläufig vage Begriffe, für die keine Normen oder einheitliche Vorgaben bestehen.
Was bedeutet „behindertengerecht“?
Die Problematik bei der Bezeichnung einer Wohnung als „behindertengerecht“ ist in gewisser Weise ähnlich wie bei den Begriffen „seniorengerecht“ oder „altersgerecht“:
- Zum einen beruht die Bezeichnung auf keiner eindeutigen gesetzlichen Definition.
- Zum anderen bedeutet eine behindertengerechte Ausstattung in erster Linie, dass diese auf die individuellen Bedürfnisse einer einzelnen Person mit Behinderung angepasst ist.
Durch die Vielzahl möglicher Behinderungen ist es damit unmöglich, solche Anpassungen unter einem Begriff zusammenzufassen. Denn es gibt keine allgemeingültigen Ausstattungskriterien, die die besonderen Anforderungen jeder dieser vielfältigen Behinderungen erfüllen könnten.
Eine als behindertengerecht beworbene Wohnung ist daher für viele Menschen mit Behinderung trotzdem nicht angemessen. Insofern ist Vorsicht geboten, wenn eine Wohnungsanzeige eine behindertengerechte Ausstattung anpreist.
Fazit: Barrierefreiheit ist nur in wenigen Fällen gesetzlich gewährleistet
Wohnen und Ausstattungsqualität, die sich ganz an den individuellen Bedürfnissen der Bewohner orientiert – das klingt zunächst nach einem sinnvollen und wünschenswerten Ansatz. In der Praxis zeigt sich aber schnell, dass die damit einhergehenden Begriffe häufig eher falsche Vorstellungen wecken.
Letztlich handelt es sich nur bei „barrierefrei“ und „rollstuhlgerecht“ um Begriffe, die eine bestimmte Ausstattung gesetzlich garantieren. Sie werden von der DIN 18040 genau festgelegt und durch entsprechende Vorgaben für die Planung und Umsetzung begleitet.
Andere Adjektive wie „seniorengerecht“, „barrierearm“, „schwellenarm“, „barrierereduziert“ oder „behindertengerecht“ sind hingegen keine Rechtsbegriffe und damit nicht an verbindliche Vorgaben gebunden. Sie bieten deswegen auch keinen Anspruch auf eine bestimmte Ausstattung. Aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, die Begriffe bei der Wohnungssuche genau einordnen zu können.