Rollstuhlfreundliche Städte: Was ist notwendig für mehr Barrierefreiheit?
Was für viele Menschen selbstverständlich ist, kann für Rollstuhlfahrer zur echten Herausforderung werden. Die Rede ist von einem entspannten Stadtbummel, von Erledigungen im Supermarkt oder der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel – und vielen weiteren alltäglichen Situationen. Denn zahlreiche deutsche Städte sind nicht ausreichend rollstuhlgerecht, sodass selbst einfache Aktivitäten schwierig bis unmöglich werden; oder die Betroffenen sind stets auf Hilfe angewiesen. Wie also kann eine Stadt rollstuhlfreundlicher werden und welche Vorbilder gibt es diesbezüglich bereits?
Barrierefreiheit: Definition und Status quo
Der Begriff Barrierefreiheit gewinnt seit einigen Jahren an Bedeutung. Immer mehr Menschen bauen beispielsweise ihr Eigenheim barrierefrei um und auch die Städte legen zunehmend Wert darauf, Maßnahmen für Barrierefreiheit umzusetzen. Hierbei geht es nicht nur um die Rollstuhlfreundlichkeit, sondern um den Abbau sämtlicher Hürden für Personen, die körperlich eingeschränkt sind. Diese Einschränkungen können durch das steigende Lebensalter eintreten, aber auch durch Krankheiten, Unfälle oder angeborene Beeinträchtigungen.
Barrierefreiheit heißt somit, dass niemand bei der Nutzung eingeschränkt wird, selbst als Rollstuhlfahrer, mit Gehstock, mit Rollator oder anderen Hilfsmitteln. Im städtischen Kontext spielen dabei vor allem Schwellen jeder Art eine wichtige Rolle, beispielsweise das Überwinden von Treppen, der Eingang in Gebäude oder der Einstieg in öffentliche Verkehrsmittel.
Wo liegen aktuelle Probleme?
Diese Beispiele machen zugleich deutlich, wo aktuell noch die Hauptprobleme liegen, wenn es um Barrierefreiheit in Städten geht. Nur wenige Bahnhöfe sind bereits vollständig rollstuhlgerecht, noch schlechter sieht es im öffentlichen Raum aus – etwa in Restaurants, engen Innenstädten oder Gebäuden, die für Behördengänge betreten werden müssen.
In Dresden beispielsweise beklagen Rollstuhlfahrer bereits seit vielen Jahren, dass der öffentliche Nahverkehr nicht (ausreichend) barrierefrei ist. Wer in die Straßenbahn einsteigen möchte, muss einen etwa fünf Zentimeter breiten Spalt mit Höhenunterschied überwinden. Für Menschen mit Beeinträchtigungen kann dies bereits bedeuten, die Straßenbahn nicht oder nur mit fremder Hilfe nutzen zu können. Das ist nicht nur ungerecht, sondern aus Sicht der Betroffenen auch ein nennenswertes Unfallrisiko. Barrierefreiheit geht daher stets mit Sicherheit einher und sollte schon deshalb für jede Stadt oberste Priorität haben.
In vielen Städten beginnt die Problematik also bereits beim Nahverkehr und oft wird zu wenig getan, damit Rollstuhlfahrer diesen sicher nutzen können. Wenn überhaupt, so ist vor allem der innerstädtische Nahverkehr rollstuhlfreundlich gestaltet. Je weiter man sich vom Stadtzentrum entfernt, desto schwieriger wird es mit der Barrierefreiheit.
Dadurch werden die betroffenen Personen sogar in der Wahl ihrer Wohnorte eingeschränkt. Oft bleibt ihnen nur die teure Wohnlage im Zentrum oder der Verzicht auf freie Mobilität, wie sie allen zustehen sollte. Was die Tragweite der Problematik weiter verdeutlicht, ist, dass Dresden im Vergleich zu vielen anderen Städten sogar rollstuhlfreundlicher ist – trotz der geschilderten Hürden.
Rollstuhlfahrer wünschen sich mehr Bewegungsfreiheit
Barrierefreiheit hat aber nicht nur etwas damit zu tun, den Alltag ohne Hilfe stemmen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können. Vielmehr geht es darum, in ihrer Mobilität eingeschränkten Personen mehr Freiheit zu schenken. Schließlich gehen nach wie vor viele Menschen gerne zu Fuß, was ebenso für Personen mit Gehhilfen oder Rollstuhl gilt.
Wer kann, bewegt sich also am liebsten selbst fort, ohne ein Auto, öffentliche oder andere Verkehrsmittel nutzen zu müssen. Dies spart Geld, fördert die Gesundheit und dient dem Umwelt- sowie Klimaschutz. Doch diesbezüglich erleben Rollstuhlfahrer im Alltag ebenfalls einen großen Nachteil. Fehlende Barrierefreiheit bedeutet daher auch räumliche Einschränkungen für die Betroffenen sowie gegebenenfalls einen sozialen Ausschluss. Eine Stadt, die mit sozialer Gerechtigkeit wirbt, kommt daher nicht um die Themen Barrierefreiheit und Inklusion herum.
Der Grund, weshalb Menschen mit Rollstuhl einen gesellschaftlichen Ausschluss erfahren oder zusätzlichen Gefahren ausgesetzt werden, sind vor allem nicht abgesenkte Bordsteine, fehlende Rampen an Treppen, Höhenunterschiede oder Kanten, wie sie beispielsweise bei Baustellen zu finden sind.
Ampeln können gerade für Menschen mit Sehbehinderung zur Gefahr werden, wenn sie nicht barrierefrei sind, und neuerdings werden sogar falsch geparkte E-Scooter immer häufiger zum unüberwindbaren Hindernis für Personen im Rollstuhl. In der Folge schrecken sie manchmal sogar davor zurück, sich eigenständig in Städten zu bewegen oder ihren Alltag selbständig stemmen zu wollen. Statt Partizipation und sozialer Teilhabe drohen ihnen Einsamkeit und Abgeschiedenheit in ihrem privaten, barrierefrei gestalteten Wohnumfeld.
Rollstuhlfahrer werden bei der Mobilitätswende oft „übersehen“
Was Städte also brauchen, um rollstuhlfreundlich(er) zu werden, ist eine ganzheitlich gedachte Mobilitätswende. Denn in vielen Städten wird die Mobilität derzeit grundlegend neu konzipiert. Dabei werden Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt, ebenso wie neue Verkehrsmittel, zum Beispiel der vorab erwähnte E-Scooter. Was aber vielerorts nicht bedacht wird, ist die Frage, wie sich diese neuen Konzepte barrierefrei umsetzen lassen. Stattdessen lässt sich teilweise sogar eine Verschlechterung der Situation feststellen, indem zum Beispiel Parkplätze für Menschen mit Behinderung wegfallen, um neue Parkmöglichkeiten für E-Autos oder E-Scooter zu schaffen.
Eine aktuelle Befragung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung kam zu dem Ergebnis, dass die Barrierefreiheit im Rahmen der Stadt- und Raumplanung noch nicht ausreichend berücksichtigt wird. Es liegt somit in der Verantwortung der Städte, dieses Problem an der Wurzel zu packen und Barrierefreiheit zukünftig zur Priorität zu machen.
Einige Kommunen gehen diesbezüglich bereits als gutes Beispiel voran. In Dresden soll die Problematik jetzt beispielsweise durch eine Kooperation mit einer speziellen Landesarbeitsgemeinschaft gelöst werden. Ziel hierbei ist die Hilfe zur Selbsthilfe, zum Beispiel durch ein spezielles Mobilitätstraining. Hierbei können die Teilnehmer lernen, Rampen ohne die Kontaktherstellung zum Personal oder zu fremden Helfern eigenständig zu nutzen und dadurch die Angst vor der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu verlieren.
Lösungsansätze für rollstuhlfreundlichere Städte
Die wirkliche Lösung des Problems liegt somit in der Kombination: Einerseits bedarf es Eigenverantwortung bei den Betroffenen, um sich beispielsweise über die Nutzung moderner Hilfsmittel zu informieren und diese in ihren Alltag zu integrieren. Andererseits sind die Städte in der Verantwortung, barrierefrei zu werden und die Hürden sowie Gefahren für Menschen mit Beeinträchtigung schnellstmöglich zu beseitigen.
Hierfür stehen mittlerweile vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung und der technologische Fortschritt sowie die Mobilitätswende könnten diesbezüglich in naher Zukunft noch weitere Chancen eröffnen. Ebenso simple wie wirkungsvolle Lösungsansätze sind unter anderem:
Abgesenkte Bordsteine
Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, muss eine Vielzahl an Bordsteinkanten überwinden. Für die meisten Menschen ist dies kein Problem, doch für Personen mit Beeinträchtigung stellt jede von ihnen ein Hindernis dar. Abgesenkte Bordsteinkanten sind daher eine einfache und effektive Maßnahme, um sofort für mehr Barrierefreiheit in Städten zu sorgen.
Aufzüge oder Rampen
Sie sind eine wichtige, aber kostenintensive Lösung. Denn Aufzüge oder Rampen sind an Bahnhöfen sowie öffentlichen Plätzen überall notwendig, wo es Höhenunterschiede zu überwinden gilt. An Bahnhöfen bedeutet das zum Beispiel, dass jedes Gleis mit einem Aufzug oder einer Rampe ausgestattet werden muss. Noch sind diese daher vielerorts Mangelware.

Rampen an öffentlichen Plätzen helfen Rollstuhlfahrern, Höhenunterschiede zu überwinden. Foto: olgasparrow – stock.adobe.com
Automatische Türen
Eine handelsübliche Tür kann für Rollstuhlfahrer zur Herausforderung werden. Diese eigenständig zu öffnen, zu halten und gleichzeitig hindurchzufahren, ist beinahe unmöglich. Noch schwieriger wird es, wenn es eine Türschwelle gibt. Automatische Türen mit ausreichend breiten und schwellenfreien Korridoren sollten deshalb im öffentlichen Raum verpflichtend werden.
Barrierefreie Toiletten
Öffentliche Toiletten müssen mindestens eine barrierefreie Kabine offerieren, ansonsten sind sie für Rollstuhlfahrer nicht nutzbar. Dies gilt für den Zugang, sprich die Tür muss groß genug, frei von Schwellen und bestenfalls automatisch sein. Andererseits – ebenso wie der Zugangsweg. Zudem ist es erforderlich, den Weg von der Toilette bis zum Waschbecken barrierefrei zu gestalten.
Breite Gehwege und Durchgänge
Damit ein Rollstuhl auf einem Gehweg fahren kann, muss dieser ausreichend breit und frei von Hindernissen sein. Wie vorab erwähnt, werden zum Beispiel E-Scooter hierbei zum Problem oder Cafés, die ihre Tische und Stühle zu weit draußen platzieren – um nur zwei von vielen Möglichkeiten zu nennen.
Die Bürgersteige müssen daher breit, ohne Höhenunterschiede und gegebenenfalls mit einer Beschilderung geplant werden, die entsprechende Blockaden verbietet und das Bewusstsein für die Thematik schärft. Ebenso müssen sämtliche Durchgänge, beispielsweise in Gebäude oder bei Unterführungen, groß genug sein, um sie problemlos mit Gehhilfe zu passieren.
Niedrigflurbusse
Die sogenannten Niedrigflurbusse sind spezielle Busse, die den Einstieg auch ohne Stufen ermöglichen. Dies gelingt entweder durch zusätzliche Rampen oder Hebebühnen, die jedoch nur an entsprechend ausgerüsteten Haltestellen eingesetzt werden können. Zudem muss im Inneren des Busses ausreichend Platz sein, um einen oder mehrere Rollstühle parken zu können.
Stufenlose Einstiege
Wie vorab geschildert, sind die Einstiege in U-Bahnen, Zügen, S-Bahnen oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oft eine große Hürde. Schon wenige Zentimeter Höhenunterschied können ausreichen, damit sie nicht mit einem Rollstuhl, Rollator oder anderem Hilfsmittel überwunden werden können. Stufenlose Einstiege mit einem möglichst kleinen Spalt ohne Höhendifferenz sind daher ebenfalls ein Muss für barrierefreie Städte.
Taktile Leitsysteme
Es sind vor allem Menschen mit Sehbehinderung, die auf taktile Leitsysteme angewiesen sind, um ihnen Orientierung sowie Sicherheit zu bieten, beispielsweise an Bahnhöfen. Genauso können Menschen mit Mobilitätseinschränkungen davon profitieren, sofern die Leitsysteme richtig geplant und umgesetzt werden.
Zudem müssen andere Verkehrsmittel wie Taxis für Rollstuhlfahrer zugänglich gemacht werden, ebenso wie öffentliche Gebäude oder – besser noch – alle gewerblich genutzten Gebäude. Ziel sollte sein, dass sich Rollstuhlfahrer im Alltag genauso frei und sorglos bewegen können wie Personen ohne Beeinträchtigung, sei es für Erledigungen, für soziale Events, für ein Essen im Restaurant, einen Besuch im Kino oder andere Freizeitbeschäftigungen.
Fazit
Bislang gibt es in Deutschland nur wenige Städte, die tatsächlich als rollstuhlfreundlich bezeichnet werden können. Denn obwohl das Bewusstsein um die Thematik der Barrierefreiheit wächst und es immer mehr Möglichkeiten gibt, um diese dank moderner Technologien umzusetzen, wird sie in der Städteplanung noch oft vernachlässigt. Dabei ist die Stadt der Zukunft nicht nur nachhaltig oder smart, sondern auch barrierefrei – so sähe jedenfalls der Idealfall aus.
Deshalb ist es wichtig, bei der Mobilitätswende den Fokus mehr auf die Barrierefreiheit zu legen und die Bevölkerung sowie die Verantwortlichen zunehmend für das Thema zu sensibilisieren. Gemeinsam lässt sich das Ziel der barrierefreien Stadt dann überraschend schnell und mit ebenso simplen wie wirkungsvollen Maßnahmen erreichen, wie abgesenkten Bordsteinen oder Rampen im öffentlichen Nahverkehr, sodass eine tatsächliche Inklusion vorstellbar wird.