Alt werden in Deutschland:
Ein Blick auf den Neunten Altersbericht der Bundesregierung
Schon seit 1993 wird die Altersberichterstattung der Bundesregierung in jeder Legislaturperiode auf den neuesten Stand gebracht. Eine unabhängige Sachverständigenkommission dokumentiert die Lebenssituation der Senioren in Deutschland und gibt wertvolle Empfehlungen für die weitere Seniorenpolitik des Bundes.
Der Neunte Altersbericht „Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen“ wurde am 8. Januar 2025 veröffentlicht. Er steht ganz im Zeichen von Vielfalt und Teilhabe und zeigt damit auf: Alter ist in Deutschland sehr vielfältig. Das gilt für die Lebenssituationen der Menschen genauso wie für ihre Teilhabemöglichkeiten. Wir blicken auf die wichtigsten Erkenntnisse und Prognosen aus dem Altersbericht.
Worum geht es bei der Altersberichterstattung der Bundesregierung?
Die Altersberichterstattung wird im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erhoben. Dazu wird in jeder Legislaturperiode eine unabhängige wissenschaftliche Sachverständigenkommission einberufen. Diese verfasst den Altersbericht zu einem vorgegebenen Thema, das für die Senioren in Deutschland und für die Seniorenpolitik des Bundes wichtig ist.
Die Sachverständigenkommission für den Neunten Altersbericht der Bundesregierung wurde am 22. Juli 2022 berufen. Zu ihr gehörten elf Experten aus verschiedenen Disziplinen: Psychologie, Sozialwissenschaft, Gerontologie, Gesundheitswissenschaft und Sozialpolitik.
Die Ergebnisse aus der zweijährigen Arbeit wurden am 11. Juli 2024 vorgelegt. Die Bundesregierung ergänzt eine eigene Stellungnahme zum Kommissionsbericht, zusammen ergeben beide den Altersbericht.

Die Gesellschaft wird immer älter. Die Bedürfnisse und Wünsche älterer Menschen haben deshalb einen hohen Stellenwert, wenn es um Teilhabe geht. | © Laiotz – stock.adobe.com
Wie relevant ist der Neunte Altersbericht der Bundesregierung
Die Bevölkerungsgruppe der Senioren in Deutschland wächst. Aktuell gehören rund 18,7 Millionen Menschen dazu, die 65 Jahre oder älter sind (Stand: Januar 2025). Ziel der Seniorenpolitik muss sein, für diese Menschen gute Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes und aktives Leben zu schaffen.
Aus diesem Grund befasst sich der aktuelle Altersbericht mit Teilhabechancen von Senioren und wie diese gestärkt werden können. Dabei müssen sehr unterschiedliche, vielfältige Lebensbedingungen berücksichtigt werden. Auch diese wurden von der Sachverständigenkommission untersucht. Die Erkenntnisse und Aussagen zu diesen beiden Schwerpunktthemen sind eine wichtige Entscheidungshilfe für die Ausrichtung der Seniorenpolitik des Bundes.
Bisherige Altersberichte der Bundesregierung
Seit 1993 hat sich die Altersberichterstattung des Bundes mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen befasst:
- Erster Altersbericht (1993): Lebenssituation älterer Menschen
- Zweiter Altersbericht (1998): Wohnen im Alter
- Dritter Altersbericht (2001): Alter und Gesellschaft
- Vierter Altersbericht (2002): Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen
- Fünfter Altersbericht (2006): Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen
- Sechster Altersbericht (2010): Altersbilder in der Gesellschaft
- Siebter Altersbericht (2016): Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften
- Achter Altersbericht (2020): Ältere Menschen und Digitalisierung
Lebenssituation und Teilhabechancen
Seniorenpolitik muss sich heute damit befassen, dass auch unter älteren Menschen die Lebenssituationen und -wege immer vielfältiger werden. Das bedeutet nicht nur eine individuellere selbstbestimmte Gestaltung des „Lebensabends“. Es bedeutet aus der seniorenpolitischen Perspektive gleichzeitig, sich mit sehr unterschiedlichen persönlichen Rahmenbedingungen befassen zu müssen, um Ungleichheiten bei der gesellschaftlichen Teilhabe entgegenwirken zu können.
Das Thema ist deswegen so komplex, weil Teilhabe ganz verschiedene Dimensionen umfasst: von der materiellen Lage, über die Gesundheit, Erwerbsarbeit, Wohnen bis zur gesellschaftlichen Partizipation.
Die materielle Lage von älteren Menschen
Die materielle Situation bleibt eine wesentliche Voraussetzung dafür, das eigene Leben selbstbestimmt und nach den eigenen Wünschen zu gestalten – auch im Alter. Wenn es um die materielle Sicherheit als Voraussetzung für Lebensqualität, Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe geht, sind die empirischen Befunde allerdings sehr ambivalent:
- Einerseits ist eine positive Entwicklung der Alterseinkommen zu beobachten, da neben den gesetzlichen Renten auch die Gesamteinkommen im Alter gestiegen sind.
- Andererseits zeigen sich große Einkommensunterschiede – zwischen Männern und Frauen, west- und ostdeutschen Regionen, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.
Altersarmut ist ebenfalls ein Problem, das in Zukunft noch gravierender werden könnte. Das wiederum bedeutet, dass viele ältere Menschen in ihren Teilhabemöglichkeiten Einschränkungen erfahren. Politische Maßnahmen sollten deshalb unter anderem darauf abzielen, Ungleichheiten bei der Erwerbsbeteiligung und der Entlohnung zu verringern.
Handlungsbedarf sieht die Sachverständigenkommission darüber hinaus bei der Alterssicherung. Hier ist die Politik gefordert, die Gesetzliche Rentenversicherung als langfristige Absicherung des Wohlstands im Alter zu stärken. Außerdem muss sie gegen „verdeckte“ Armut und Überschuldung älterer Menschen vorgehen.

Erwerbsarbeit ist vor und nach dem Ruhestand ein wichtiger Faktor um das Einkommen zu sichern, eine Aufgabe zu haben und gebraucht zu werden. | © Zamrznuti tonovi – stock.adobe.com
Erwerbsarbeit und Sorgearbeit im Alter
Der Stellenwert von Erwerbsarbeit im Alter hat zwei wichtige Gründe: Zum einen sichert sie das Einkommen, immer häufiger sogar über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus. Zum anderen bedeutet die Arbeit weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilhaben, soziale Kontakte pflegen zu können und gebraucht zu werden.
Erwerbsarbeit vor und im Ruhestand
Chancen und Notwendigkeit für die Erwerbsarbeit über das Rentenalter hinaus sind jedoch von verschiedenen Umständen geprägt: Arbeit in Teilzeitbeschäftigungen (die meist Frauen betrifft), körperliche Belastungen, Schichtarbeit und die Branche gehören zu den Faktoren, die das Arbeiten im Alter beeinflussen.
Wünschenswert wäre deshalb eine altersgerechte Arbeitsgestaltung mit Weiterbildungsangeboten und flexiblen Arbeitsmodellen. Das würde nicht nur den Übergang in den Ruhestand erleichtern, sondern auch das Arbeiten im Ruhestand.
Sorgearbeit als Herausforderung für pflegende Angehörige
Die private Pflege von An- oder Zugehörigen ist in Deutschland die häufigste Form der pflegerischen Versorgung. In vielen Fällen sind finanzielle Beweggründe hierfür verantwortlich: Es fehlt an den nötigen Mitteln, um Pflegeleistungen bezahlen zu können. Für pflegende Personen, die noch erwerbstätig sind, kommt dazu die Problematik, Pflege und Arbeit miteinander zu vereinbaren.
Um pflegende Angehörige zu entlasten und gleichzeitig individuelle Bedürfnisse sowie die Qualität der Pflege sicherzustellen, könnte ein Kombination aus professionellen Dienstleistungen und Hilfe aus Familie, Nachbarschaft und Ehrenamt stärker gefördert werden. Auch Unterstützungsangebote wie Beratungen oder Kurzzeitpflege sollten besser individuell abgestimmt werden können. Zudem besteht bei heutigen Lebensentwürfen eine räumliche Distanz zwischen Familienangehörigen. Die Kommission fordert deshalb, Wahl- und Verantwortungsgemeinschaften rechtlich besser aufzustellen, damit Sorgearbeit auch im Rahmen von Freundschaften oder Wohngemeinschaften unkompliziert und unbürokratisch ausgeübt werden kann.

Die soziale Einbindung am Wohnort ist entscheidend für die Lebensqualität und das Wohlbefinden älterer Menschen. | © david – stock.adobe.com
Wohnen und soziale Einbindung
Gesellschaftliche Teilhabe hängt eng mit dem unmittelbaren Wohnumfeld zusammen. Deswegen ist es so wichtig, dass ältere Menschen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung leben können: Hier sind sie gut vernetzt, hier kennen sie sich aus.
Bezahlbarer Wohnraum ist für ältere Menschen unerlässlich
Angemessen Wohnen ist in vielen Regionen und vor allem Städten mit steigenden Kosten verbunden. Die eigentlich positive Entwicklung der Alterseinkommen kann mit den durchschnittlichen Wohnkosten vielfach nicht mehr Schritt halten. Die Kommission fordert deshalb vor allem zwei Maßnahmen:
- Das Wohngeld soll so gestaltet werden, dass ältere Menschen in der Lage sind, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung bezahlen zu können – auch bei steigenden Mieten.
- Der soziale Wohnungsbau sollte gestärkt werden, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der bedarfsgerecht verteilt werden kann.
Barrierefreie (öffentliche) Räume schaffen
Bedürfnisgerecht Wohnen umfasst sowohl die Gestaltung des Wohnraums als auch die des Wohnumfelds. Altersbedingte und/oder gesundheitliche Einschränkungen der Mobilität können durch entsprechende bauliche Maßnahmen ausgeglichen werden.
Innerhalb und außerhalb der eigenen vier Wände mobil sein zu können, ist ein wesentlicher Beitrag zur Lebensqualität und -zufriedenheit im Alter. Eine barrierearme Planung und Umsetzung von Wohnraum und öffentlichen Räumen hilft dabei, dass alle Menschen bessere Teilhabechancen erhalten. Auf diese Weise lassen sich zudem soziale Ungleichheiten abbauen, weil Menschen mit höheren Einkommen gesundheitliche Einschränkungen in der Regel besser kompensieren können.
Soziale Einbindung: Soziale Beziehungen und Versorgungsstrukturen für ältere Menschen
Leben im gewohnten Umfeld und Mobilität bis ins hohe Alter sind grundlegende Bedingungen, damit ältere Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dabei geht es um freiwilliges Engagement, politische Aktivität genauso wie die Teilnahme an Bildungsaktivitäten oder kulturellen Angeboten.
Die Möglichkeiten bei diesen Formen der sozialen Partizipation hängen stark vom Status der Menschen ab. Niedrigere Einkommen und Schulabschlüsse beeinträchtigen häufig den Zugang zu solchen Aktivitäten. Je besser aber die soziale Einbindung und die sozialen Beziehungen von älteren Menschen an ihrem Wohnort sind, desto größere Chancen auf eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe haben sie.
Die Kommission sieht in quartierbezogenen Projekten für nachbarschaftliche Integration, etwa inklusive Stätten der Begegnung, gute Maßnahmen, um die soziale Einbindung älterer Menschen zu stärken. Dazu gehört ebenfalls, Strukturen für die Versorgung mit verschiedenen Dienstleistungen auf Quartiersebene zu verbessern – also die Menschen bei hausmeisterlichen, hauswirtschaftlichen und pflegerischen Aufgaben zu entlasten.

Weiter mitten im Leben stehen und sich in die Gesellschaft einbringen: Für gleiche Chancen bei der Teilhabe braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. | © bernardbodo – stock.adobe.com
Wie der Neunte Altersbericht die Lebenssituation von älteren Menschen in Deutschland einschätzt
Die Themen, die der Neunte Altersbericht der Bundesregierung anfasst, sind keineswegs neu für die Seniorenpolitik. Der Fokus des Berichts zeigt aber deutlich, dass seniorenpolitische Maßnahmen stärker auf die Vielfältigkeit des Alterns eingehen müssen. Alt werden in Deutschland ist von vielen unterschiedlichen Faktoren geprägt – und damit die Chancen auf Teilhabe jedes einzelnen Menschen.
So unterschiedlich sind die Teilhabechancen für ältere Menschen
Vielfalt bedeutet nämlich, dass die Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben im Alter zum Teil sehr ungleich verteilt sind. Alter, Bildung, Einkommen, Geschlecht, Migrationsstatus, sexuelle Orientierung sowie geschlechtliche Identität wirken sich darauf aus, wie gut der Zugang zu Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist.
Vor allem bei Menschen, die auf mehreren Ebenen von sozialer Ungleichheit betroffen sind, verstärken sich die Benachteiligungen. Im Alter beschränken diese die Teilhabe und verhindern, dass die betroffenen Menschen ihre individuellen Potenziale bis ins Alter ausschöpfen können. Das gilt insbesondere für Frauen, Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, niedrigen Bildungsabschlüssen und Migrationshintergrund.
Ageismus: Wie Altersdiskriminierung Teilhabechancen beeinflussen kann
Welche Vorstellungen herrschen in der Gesellschaft über alte Menschen und das Altsein vor? Diese Frage ist wichtig, weil Altersbilder individuelle Lebensläufe sowie die Teilhabe älterer Menschen insgesamt beeinflussen können.
Denn die Wahrnehmung von Alter führt unter Umständen zu Altersdiskriminierung. Ageismus äußert sich in Ignoranz, Bevormundung, Infantilisierung, Ausgrenzung, Missbrauch und Betrug. Derartige Benachteiligungen werden oft nicht weiter hinterfragt, weil sie sich mit eigenen Altersbildern decken. Dadurch werden ältere Menschen in ihren Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, jedoch stark eingeschränkt.
Stärkeres Bewusstsein für die Vielfalt des Alterns
Partizipation bis ins hohe Alter braucht laut Altersbericht ein stärkeres Bewusstsein für die individuellen Lebenssituationen und die Diversität älterer Menschen. Was für jüngere Bevölkerungsgruppen selbstverständlich ist, sollte es auch für die älteren sein.
Die Sachverständigenkommission plädiert für geeignete rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen in der Seniorenpolitik. Institutionen, Leistungen und Maßnahmen des Sozialstaats sollten ebenso wie Strukturen und Angebote der kommunalen Daseinsvorsorge besser auf die Vielfalt von älteren Menschen zugeschnitten sein.
Nur dann können soziale Ungleichheiten und eine ungerechtfertigte, diskriminierende Behandlung älterer Menschen überwunden werden. Stattdessen entstehen so wirkliche Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – selbstbestimmt, aktiv und gerecht.
Hier finden Sie den Neunten Altersbericht der Bundesregierung.