Leben mit Tinnitus
Was Sie gegen Ohrgeräusche tun können
Tinnitus arium, das Klingeln der Ohren, ist ein Problem, von dem in den Industrieländern mehr als 25 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens betroffen sind. Es ist also kein Ungewöhnliches. Allerdings nehmen allein in Deutschland 15 Prozent der über 65-Jährigen sogar dauerhaft Ohrgeräusche wahr – und leiden darunter teils sehr.
Ohrensausen kennt viele Formen. In der Medizin wird grob unterschieden zwischen akutem Tinnitus, bei Ohrgeräuschen über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, und dem chronischen Tinnitus, bei Symptomen mehr als einem Vierteljahr. Zu einem kurzzeitigen Ohrenfiepen kann es beispielsweise nach dem Besuch eines sehr lauten Konzerts kommen. Sollten sich die Ohrgeräusche jedoch nicht nach zwei bis drei Tagen bessern, konsultieren Sie auf jeden Fall einen Arzt.
Typische Symptome eines Tinnitus
- Sie nehmen ein wiederkehrendes Rauschen, Sausen, Piepen, Klingeln oder Brummen im Ohr wahr
- die Störgeräusche müssen nicht durchgehend sein, sondern machen teils monatelang Pause
- Sie werden zunehmend gereizt, haben Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder Kopfschmerz
- es kann zu Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, Schwindel oder körperliche Leistungseinbußen kommen
Viele sprechen ihr Problem mit Ohrgeräuschen zuerst beim Hausarzt an, jedoch können diese oftmals nicht die notwendigen Untersuchungen durchführen, weshalb Sie auf jeden Fall einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt um Rat fragen sollten. In Zusammenhang mit Begleiterkrankungen können weitere Fachärzte wie Neurologen, Orthopäden, Zahnärzte, Psychiater oder Psychologen in die Diagnostik und Therapie miteinbezogen werden.
Behandlung von akutem Tinnitus
Bei neu auftretenden Fällen werden vor allem entzündungshemmende Arzneimittel wie Kortison verabreicht. Auch die Gabe durchblutungsfördernder Medikamente gehört bei akutem Tinnitus zum Behandlungsplan und orientiert sich an der Behandlung von Hörstürzen. Kritische Studien sehen die Erfolgsaussichten allerdings ähnlich denen bei Behandlung mit Placebos. Lediglich die intravenöse Gabe des lokalen Anästhetikums Lidocain führt nachweislich zu einer kurzfristigen Linderung der Beschwerden. Sie hätte in der langfristigen Therapie allerdings zu starke Nebenwirkungen.
Sollte eine Funktionsstörung der Halswirbelsäule oder der Kiefer- und Kaumuskulatur diagnostiziert werden, kann eine manualtherapeutische Behandlung hilfreich sein. In seltenen Fällen ist bei akutem Tinnitus auch ein einfacher Pfropf, hervorgerufen durch Fremdkörper oder Ohrenschmalz, das Problem.
Ursachen für chronischen Tinnitus
Medizinische Untersuchungen legen nahe, dass Tinnitus zu 90 Prozent als Begleiterscheinung eines generellen Hörverlustes betrachtet werden kann. Das Hörzentrum versucht die wegbrechenden Frequenzen zu verstärken, was mitunter zu Ohrgeräuschen führt. Durch eine sogenannte Hinwendungs- oder Aufmerksamkeitsreaktion des Betroffenen wird das Phantomgeräusch subjektiv zusätzlich verstärkt.
In seltenen Fällen wird eine gesteigerte sinnliche Überreizung aufgrund von Stressbelastungen als Ursache gesehen. Auf diese Annahme stützen sich nicht zuletzt viele Ansätze der Selbsttherapie. Leider löst Tinnitus bei vielen Menschen gleichfalls Stress aus, was das Problem nochmals verstärkt. Umso wichtiger ist der gelassene Umgang mit der Krankheit, der auch Auswirkungen auf den Schweregrade des Tinnitus haben kann.
Schweregrade des Tinnitus
- Grad I: Geringe Belastung. Trotz der Ohrgeräusche besteht kein Leidensdruck.
- Grad II: Der Tinnitus wird in bestimmten Situationen oder bei Stress als belastend erlebt, Betroffene können dennoch den Alltag weitgehend ohne Einschränkungen meistern.
- Grad III: Es bestehen dauerhafte Beeinträchtigungen der Lebensqualität sowie der beruflichen Leistungsfähigkeit, trotz genereller Arbeitsfähigkeit. Störungen im emotionalen, körperlichen und kognitiven Bereich nehmen zu.
- Grad IV: Betroffene sind beruflich wie privat schwer beeinträchtigt, bis zur Erwerbsunfähigkeit. Die Folge sind Suizidgedanken oder gar -versuche.
Je nach Schweregrad der Belastung können psychischen Begleiterscheinungen auftreten:
- Schlafstörungen
- Angstzustände
- Depressionen
- Arbeitsunfähigkeit
Umso wichtiger ist eine frühzeitige Therapie. Zwar ist Tinnitus nach heutigem Kenntnisstand nicht vollkommen heilbar, es gibt also kein Medikament oder Verfahren, welches das Problem von jetzt auf gleich löst. Jedoch können Ärzte in Kooperation mit den Patienten viel tun, damit der Tinnitus nicht mehr als störend empfunden wird oder sogar ganz aus der Wahrnehmung verschwindet.
Therapie von chronischem Tinnitus
Ausgangspunkt einer jeden Therapie ist eine eingehende Diagnostik, Aufklärung und Beratung (Tinnitus-Counselling). Je mehr Betroffene über ihre Krankheit wissen, desto einfacher fällt es ihnen, damit umzugehen. Im Falle eines mit dem Tinnitus einhergehenden Hörverlustes sollte ein Ausgleich dieser Beeinträchtigung angestrebt werden. Das kann einerseits durch Hörgeräte oder eine Hörtherapie erfolgen.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl verhaltenstherapeutischer Ansätze, die ebenfalls in ihrer Wirksamkeit nachgewiesen sind. Zwar vermindern sie nicht die Ohrgeräusche, doch verändern sie die bewusste Wahrnehmung des Tinnitus. Vielfach sind Erfolge zum Beispiel mit der Tinnitus-Retrainingtherapie oder einer Tinnitus-Bewältigungstherapie (TBT) zu verzeichnen. Als unterstützende Technik kommen mitunter sogenannte Noiser oder Masker zum Einsatz, also kleine Hinter-dem-Ohr-Geräte, die ein konstantes breitbandiges Rauschen erzeugen und so den Teufelskreis der Verspannung in Reaktion auf den Tinnitus zu durchbrechen helfen.
Empfohlen wird auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen, schließlich zielen alle Therapien auf eine bessere Habituation des Ohrgeräusches und eine nahezu vollständige Verdrängung. Werden im Rahmen der Diagnostik mit dem Tinnitus einhergehende körperliche Funktionsstörungen festgestellt, müssen diese natürlich separat behandelt werden.
Alles in allem ist die Behandlung von Tinnitus für Betroffene ein langer, aber kein hoffnungsloser Weg. Um so wichtiger ist ein langer Atem und das Vertrauen in die Wirksamkeit aktueller Therapieformen. Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. wurde 2021 eine speziell für Betroffene verfasste Leitlinie auf den neuesten Stand gebracht, die erstmals auch nachweislich unwirksame Behandlungsmethoden erwähnt.
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Teil 1 – Altersschwerhörigkeit rechtzeitig erkennen und behandeln