Die Zukunft der Pflege in Deutschland – ein Ausblick
Jeden Tag benötigen mehrere Millionen Menschen in Deutschland Unterstützung bei der Pflege. Jedes Jahr wächst die Zahl der Menschen, die auf Pflege angewiesen sind – ambulant oder stationär. Die Zukunft der Pflege in Deutschland ist deshalb geprägt von zahlreichen Herausforderungen: von steigendem Pflegebedarf bis zu Personalmangel.
Welche Lösungsansätze können dabei helfen, die pflegerische Versorgung in Deutschland zu gewährleisten? Wir werfen einen Blick auf die wichtigsten Entwicklungen im Bereich Pflege in den kommenden Jahrzehnten und wagen einen Ausblick auf mögliche Lösungen.
Bedarf an Pflege nimmt weiter zu
Der demografische Wandel in Deutschland ist keine Neuigkeit und ebenso wenig die Auswirkungen, die er gesamtgesellschaftlich mit sich bringt. Die zunehmende Alterung wirkt sich auf den Arbeitsmarkt, das Rentensystem und vieles mehr aus. Kaum anders ist es im Bereich Pflege.
Steigende Zahl von Pflegebedürftigen
Die Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) geht davon aus, dass die Anzahl pflegedürftiger Menschen in Deutschland bis 2055 um etwa 37 Prozent zunehmen könnte. Im Vergleich zu den rund 5 Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2021 würde das für das Jahr 2055 etwa 6,8 Millionen Menschen mit Pflegebedarf bedeuten. Ende 2023 verzeichnete das Statistische Bundesamt bereits 5,69 Millionen Menschen, die gemäß Pflegebersicherungsgesetz (SGB XI) pflegebedürftig waren.
Diese Berechnung geht von einer konstanten Pflegequote aus, die nur den reinen Alterungseffekt berücksichtigt. Nach diesen Berechnungen, die auch sich ändernde Pflegequoten einbeziehen, könnte in den einzelnen Altersgruppen ein deutlicher Anstieg bevorstehen. Grund hierfür ist der seit 2017 eingeführte, weiter gefasste Pflegebedürftigkeitsbegriff. Bis 2055 könnte die Zahl der Pflegebedürftigen nach diesem Modell auf 7,6 Millionen Menschen ansteigen.
Unabhängig davon dürfte allein der wachsende Anteil an Menschen, die 80 Jahre oder älter sind, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Herausforderung werden. Bis zum Jahr 2055 liegt er laut Destatis-Berechnungen bei 65 Prozent aller Pflegebedürftigen liegen.
Was ist die Pflegequote?
Die Pflegequote gibt an, wie hoch der Anteil der pflegebedürftigen Menschen an der Gesamtbevölkerung ist. Unterschieden wird dabei nach Alter und Geschlecht. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, pflegebedürftig zu werden. Dadurch steigt ebenfalls die Pflegequote. Am höchsten ist sie daher für die Altersgruppe der über 90-Jährigen. Innerhalb der Altersgruppen zeigen sich jedoch durchaus Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Weniger starker Anstieg nach 2055?
In ihren Berechnungen gehen die Experten des Statistischen Bundesamtes davon aus, dass die Veränderungen bei der Pflegebedürftigkeit nach 2055 weniger stark ausfallen. Die Ursache hierfür: In diesem Zeitraum vollzieht sich ein Übergang, die geburtenstarken „Babyboomer“-Jahrgänge werden dann von den nachfolgenden, geburtenschwächeren Jahrgängen abgelöst.
Bei konstanten Pflegequoten ändert das jedoch nichts daran, dass ab 2070 rund 6,9 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen sein werden.
Deutliche regionale Unterschiede
Die Vorausberechnung zeigt zwischen den einzelnen Bundesländern teilweise erhebliche Unterschiede. Im bundesweiten Durchschnitt sagen die Berechnungen einen Anstieg der Anzahl Pflegebedürftiger von 37 Prozent bis 2055 voraus.
- überdurchschnittlicher Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen: Bayern (56 Prozent), Baden-Württemberg (51 Prozent)
- durchschnittlicher Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen: Berlin (47 Prozent), Hamburg (46 Prozent)
- unterdurchschnittlicher Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen: Sachsen (11 Prozent), Thüringen (9 Prozent), Sachsen-Anhalt (7 Prozent)
In den Kommunen können die Altersstruktur und damit der Pflegebedarf dann noch einmal unterschiedlich ausfallen.

Regionale Unterschiede: In den einzelnen Bundesländern und Kommunen wächst die Zahl der Pflegebedürftigen unterschiedlich stark an. | © Kzenon – stock.adobe.com
Pflegekräfte gesucht: Personalvorausberechnungen für die Pflege
Wenn es um die personelle Situation in der Pflege geht, gehören seit längerem Begriffe wie „Pflegenotstand“ oder „Versorgungslücke“ zu den Umschreibungen. Es bedeutet, dass es an qualifiziertem Fachpersonal mangelt, während zugleich ein Großteil der pflegebedürftigen Menschen zu Hause von An- oder Zugehörigen gepflegt wird.
Verfügbare Pflegekräfte können steigenden Bedarf nicht decken
Bei seiner aktuellen Vorausberechnung zum Pflegekräftearbeitsmarkt (oder auch Pflegekräftevorausberechnung) hat das Statistische Bundesamt zwei verschiedene Varianten genutzt:
- Die „Trend-Variante“ umfasst die demografische Entwicklung und die positiven Trends, die am Pflegearbeitsmarkt in den 2010er Jahren zu beobachten waren. Damit zeigt sie stärker die Potenziale für das Angebot an Pflegekräften auf, die bei einer Fortführung dieser Trends möglich sind.
- Die „Status quo-Variante“ hingegen berücksichtigt vornehmlich die demografischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die künftige Anzahl pflegebedürftiger Menschen. Vergangene Trends auf dem Pflegearbeitsmarkt fließen nicht in die Berechnung ein.
Je nach Variante sagen die Vorausberechnungen sehr verschiedene Entwicklungen voraus. Bei der Trend-Variante wächst die Zahl der erwerbstätigen Pflegekräfte, allerdings nicht so stark wie der Bedarf. Bis zum Jahr 2049 würde die „Versorgungslücke“ in der Pflege dadurch bei rund 280.000 Pflegekräften steigen.
Die Status quo-Variante geht sogar von einer negativen Entwicklung aus. Begründet wird dies mit dem vermehrten Ausscheiden von Pflegekräften aus den Babyboomer-Jahrgängen in den Ruhestand. Dadurch wären allein altersbedingt viele Fachkräfte nicht mehr verfügbar. Das könnte bedeuten, dass bis 2049 bis zu 690.000 Pflegekräfte fehlen. Allerdings ist dieses Berechnungsmodell die ungünstigste Variante.
Vorausberechnungen sind keine Prognosen
Das Statistische Bundesamt weist darauf hin, dass es sich bei den Vorausberechnungen zum Anteil pflegebedürftiger Menschen in Deutschland und zur Verfügbarkeit von Pflegekräften nicht um Prognosen handelt. Die Berechnungen funktionieren vielmehr wie „Wenn-Dann-Aussagen“ – sie haben daher Modellcharakter.
Anhand von Eckdaten und Strukturen zeigen sie, wie sich Entwicklungen unter bestimmten Annahmen verändern würden. Wie sich diese Einflussgrößen jedoch auswirken, ist immer schwieriger abzuschätzen, je größer der zeitliche Abstand wird. Das bedeutet, je weiter eine Vorausberechnung in die Zukunft schaut, desto unsicherer sind die Aussagen.
Stabile Berufseinstiege, mehr Renteneinstiege
Der Pflege-Report 2024 der DAK scheint mit seinen Berechnungsmodellen die mögliche Entwicklung der Status quo-Vorausberechnung zu bestätigen. Für die kommenden Jahre bis 2030 setzt der Report eine stabile Entwicklung bei den Berufseinsteigern für die Pflegeberufe an. Jährlich treten demnach knapp über 33.000 Menschen in die Pflege ein.
Demgegenüber geht das Modell von einer deutlich steigenden Anzahl an Renteneintritten aus. Wie in den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird hier ebenfalls auf die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre verwiesen, die derzeit das Renteneintrittsalter erreichen.
Nicht berücksichtigt sind im DAK Pflege-Report vorzeitige Berufsaustritte, Berufsunterbrechungen oder der Abbruch von begonnenen Ausbildungen. In allen Szenarien bleibt die Zahl der verfügbaren Pflegekräfte hinter dem Bedarf zurück – das wird sehr deutlich.

„Versorgungslücke“ in der Pflege: Selbst bei optimistischen Schätzungen werden in den kommenden Jahren immer mehr Pflegekräfte fehlen. | © Peter Atkins – stock.adobe.com
Der deutsche Pflegemarkt
Bei der Entwicklung des deutschen Pflegemarktes geht es nicht allein darum, wie sich die personelle Engpasssituation in den kommenden Jahren auswirken wird. Denn neben Pflegekräften fehlen unter Umständen auch Plätze in Einrichtungen für die stationäre Pflege.
Wachsender Pflegemarkt und kostenoptimierte Pflegeeinrichtungen
Aus wirtschaftlicher Sicht geht es dem deutschen Pflegemarkt gut. Seit 2005 ist er durchschnittlich in jedem Jahr um rund 5 Prozent gewachsen. Der steigende Bedarf an pflegerischer Versorgung wird diesen Trend wohl weiter tragen. Bis zum Jahr 2030 lassen sich auf diesem Markt daher Umsätze von rund 84 Milliarden Euro erzielen.
Gleichzeitig wirkt sich fehlendes Fachpersonal auf die Arbeit vieler Pflegeheime aus. Erschwerend kommt hinzu, dass Einrichtungen in der Behinderten- und Altenpflege wegen der positiven Marktentwicklung vielfach für Investoren als Renditeobjekte attraktiv geworden sind. Dadurch steigt der Druck, rentabel zu arbeiten.
Die Voraussetzung hierfür ist eine hohe Auslastung. Der Verband der Alten- und Behindertenhilfe weist darauf hin, dass bereits bei einer Belegung von weniger als 98 Prozent der Plätze ein Umsatzminus entstehen kann. Während es am Bedarf an den verfügbaren Plätzen nicht mangelt, erweisen sich fehlende Fachkräfte oft als Problem. Dadurch kann der notwendige Personalschlüssel nicht abgedeckt werden.
Bauaktivität bleibt hinter dem Bedarf zurück
Zudem kann der Bedarf an Pflegeplätzen nicht gedeckt werden. Laut „Förderatlas Pflegeimmobilien 2024“ werden in Deutschland pro Jahr 13.000 neue Pflegeplätze benötigt. Die hierzu notwendige Bauaktivität findet aber aus verschiedenen Gründen nicht statt.
Ein Problem ist die Förderlücke, die den Neubau von Pflegeheimen ausbremst. In vielen Bundesländern bestehen lediglich Förderprogramme für Kurzzeit- oder teilstationäre Pflege, nur in Bayern gibt es Zuschüsse für Neubauten und Sanierungen von vollstationären Einrichtungen. Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen stellen gar keine finanzielle Unterstützung für den Bau und Betrieb von Pflegeheimen bereit.

Bessere Personalschlüssel, bessere Rahmenbedingungen für Ausbildung und Arbeit – das sind nur einige Maßnahmen für die Zukunft der Pflege. | © Monkey Business – stock.adobe.commacht Bewegungstherapie mit Seniorengruppe
Wie können Lösungsansätze für die Pflege in Deutschland aussehen?
Wachsender Pflegebedarf, zu wenig Personal, zu wenige Pflegeplätze: Handlungsbedarf gibt es in der Pflege in nahezu allen Bereichen. Entsprechend weitreichend müssten neue Pflegekonzepte sein, um langfristig wirksame Lösungen zu liefern. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) hat deshalb einen Denkanstoß zur Zukunft der Pflege in Deutschland verfasst.
Verbesserung der Arbeitssituation in den Pflegeberufen
Der Denkanstoß weist eine Verbesserung der Arbeitssituation in Pflegeberufen als eine der wichtigsten Maßnahmen aus. Vor allem angehobene Personalschlüssel stehen dabei im Fokus, weil sie zugleich mehr Zeit für Zuwendung und psychische Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen erlauben.
Daneben ist fachliche Autonomie ein wesentlicher Faktor für mehr Zufriedenheit im Job. Das bedeutet, dass bestimmte ärztliche Aufgaben im Rahmen heilkundlicher Tätigkeiten an entsprechend geschultes Pflegepersonal übertragen werden können. Erste Richtlinien für diese erweiterten Kompetenzen bestehen bereits und könnten ausgeweitet werden.
Neue gesetzliche Rahmenbedingungen
Auf der Ebene der Gesetzgebung rät die BAAW zu einer umfassenden Überarbeitung der Sozialgesetzgebung. Damit soll beispielsweise die Finanzierung in der Pflege übersichtlicher gestaltet werden.
Personalzielzahlen sollen Personaluntergrenzen ersetzen, begleitet von einer verpflichtenden Einführung von Instrumenten, die den Personalbedarf erfassen. Auf diese Weise soll die Pflegequalität sichergestellt werden.
Ohne Veränderungen und Investitionen geht es nicht
Unabhängig davon, welche Modellrechnungen für die Entwicklung des Pflegebedarfs in Deutschland angewendet werden, ist klar: Der Bedarf wird steigen und kann beim derzeitigen Stand weder personell noch strukturell gedeckt werden.
Um die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen in Zukunft ausreichend ambulant und stationär versorgen zu können, bedarf es deswegen weitreichender Veränderungen im gesamten Bereich der Pflegeberufe. Das betrifft die Rahmenbedingungen für Arbeit der Pflegenden genauso wie bessere Voraussetzungen für den Bau und Betrieb der benötigten Pflegeplätze. Nur so kann der individuelle Bedarf der Pflegebedürftigen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.
Quellen:
- Bertelsmann-Stiftung: Themenreport „Pflege 2030“. Was ist zu erwarten – was ist zu tun?
- Statistisches Bundesamt (Destatis): Bis 2049 werden voraussichtlich mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt
- Statistisches Bundesamt (Destatis): Pflegevorausberechnung: 1,8 Millionen mehr Pflegebedürftige bis zum Jahr 2055 zu erwarten
- DAK Gesundheit: Pflegereport. Die Baby-Boomer und die Zukunft der Pflege – Beruflich Pflegende im Fokus
- Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Zukunft der Pflege