Forschungsprojekt UrbanLife+: Wie sehen seniorenfreundliche Städte aus?
Sich in der Heimatstadt so sicher bewegen wie im eigenen Wohnzimmer – diese Fähigkeit kann mit zunehmendem Alter schwinden. Einerseits lassen Motorik und Sinneskraft mit den Jahren nach, andererseits wird der Straßenverkehr dichter und das Stadtleben hektischer. Wie können sich Städte wandeln, damit Bewohner aller Altersklassen das urbane Leben genießen können? Dieser Frage geht das Forschungsprojekt UrbanLife+ unter Leitung der Universität Hohenheim auf den Grund.
Was enthält das Programm UrbanLife+?
Wer mit 65Plus ein selbstbestimmtes Leben führen will, muss sich sicher in seiner Umgebung bewegen können. Dazu gestalten viele Senioren ihre Wohnung beziehungsweise ihr Eigenheim im Sinne der Barrierefreiheit um.
Was die Nachbarschaft außerhaus anbelangt, nimmt die Gestaltung oft keine Rücksicht auf die Bedürfnisse älterer Menschen. Die Folge: Senioren verlassen seltener das Haus, nehmen an weniger sozialen Aktivitäten teil und isolieren sich zunehmend.
Abhilfe können hier Elemente der Mensch-Technik-Interaktion (MTI) schaffen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Straßen, öffentliche Plätze und Gebäude so umgestalten, dass sie von älteren Menschen ungehindert genutzt werden können.
Das Programm UrbanLife+ setzt darauf, mit digitaler Technik das Stadtmobiliar, die Wegweiser und die Haltestellen des ÖPNV sowie die Ein- und Zugänge smarter zu gestalten. Dadurch sollen sie Personen mit altersbedingten Beschränkungen die maximale Unterstützung bieten. Im Detail beinhaltet das Programm dafür folgende Forschungsprojekte:
Adaptive Beleuchtung als Wegführung
Die Universität Leipzig arbeitet an einem Projekt zur Entwicklung eines smarten Beleuchtungssystems im städtischen Umfeld, welches sich an die Bedürfnisse älterer Menschen anpasst.
Die Grundidee besteht darin, dass sich auf Wegen die Lichtintensität und die Lichtfarbe ändern, sobald der Nutzer sie beschreitet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Damit wird sowohl die Sicherheit erhöht als auch die Wegführung unterstützt.
Smarte Sitzbänke
Gerade Menschen in den höheren Lebensjahrzehnten sind beim Rausgehen darauf angewiesen, auf längeren Strecken eine Sitzgelegenheit vorzufinden, wenn ein schwacher Kreislauf oder eine Gehbehinderung eine Pause verlangen.
Wenn das städtische Umfeld nur spärlich mit Sitzbänken ausgestattet ist, behindert es viele Senioren in ihrer selbstständigen Alltagsgestaltung. Hier gibt sogar ein Viertel der Über-75-Jährigen an, auf Unternehmungen zu Fuß zu verzichten, weil sie keine Verschnaufpause einlegen können. Als Lösungsstrategie entwickelt die Universität Hohenheim eine App, über die Nutzer die nächstgelegene Sitzbank finden und für sich reservieren können.

Smarte Sitzbänke sollen dafür sorgen, dass sich Senioren unterwegs bei Bedarf ausruhen können. | © Zuev Ali – stock.adobe.com
Informationsstrahler im Stadtgebiet
Aktuell arbeitet die Universität der Bundeswehr München an einem Projekt, das sich um öffentliche Informationsgeber im urbanen Umfeld dreht. Hier sind interaktive Bildschirme, Lautsprecher und Leuchtelemente gemeint, auf denen Passanten wechselnde Informationen erhalten und aktiv abrufen können.
Das Programm UrbanLife+ wendet sich in diesem Zusammenhang der Frage zu, wie die öffentlichen Informationen insbesondere für Senioren so gestaltet werden, dass sich ein befriedigendes Nutzer-Erlebnis ergibt. Eingeschlossen wird die Frage, welche Informationen für die 65Plus-Nutzer den höchsten Wert haben, zum Beispiel Wegbeschreibungen, ÖPNV-Fahrplan oder Informationen zur Barrierefreiheit.
Modellprojekt Scooterpark
In vielen Städten finden sich aktuell E-Scooter zum Leihen an jeder Ecke. In Mönchengladbach hat man das Scooter-Sharing-Modell an die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst und bietet hier Elektromobile für die zeitweise Nutzung an.
Der Vorteil: Die hohen Anschaffungskosten und das Aufladen entfallen – der Nutzer kann das Elektromobil per App mieten und die Fortbewegung auf Rädern unverbindlich für sich testen.
Für Neulinge besteht im „Senioren-Scooter-Park“ die Option, unter fachkundiger Anleitung die Fahrweise zu trainieren, bevor sie sich in den urbanen Trubel wagen. Gleichzeitig werden im Scooterpark aktuell weitere MTI-Elemente des UrbanLife+ Programms getestet, zum Beispiel ein digitales Schwarzes Brett sowie Leucht-Wegweiser, den Nutzer zu seinem individuell definierten Ziel in seiner Lieblingsfarbe leiten.
Wie könnten Städte seniorenfreundlicher gestaltet werden?
Wir alle werden älter und obwohl jüngere Menschen es gern verdrängen, haben die allermeisten von uns dann mit nachlassenden motorischen Fähigkeiten und abnehmenden Sinneskräften zu tun.
Genau auf diese körperlichen Veränderungen sollten Gemeinden in der Städteplanung Rücksicht nehmen, damit Menschen aller Altersstufen aktiv am urbanen Leben teilnehmen können. Abgesenkte Bordsteine und barrierefreie Treppen kommen schließlich nicht nur Senioren zugute, sondern auch Eltern mit Kinderwagen, Kleinkindern und allen anderen körperlich eingeschränkten Personen.
Vor diesem Hintergrund sollten seniorenfreundliche Städte sich den folgenden Arbeitsfeldern zuwenden:
ÖPNV
Mangelnde Parkplätze, dichter Straßenverkehr – viele Senioren sind in der Stadt nicht gern mit dem eigenen Auto unterwegs. Da bei Rentnern der alltägliche Zeitplan jedoch flexibel gestaltbar ist, gewinnen für sie Bus und Bahn an Attraktivität.
Das Problem: Viele Haltestellen sind nicht barrierefrei gestaltet und die Informationen sind schwer zugänglich. Um Tickets zu lösen, sich über den aktuellen Fahrplan und Verspätungen informieren zu können, brauchen ÖPNV-Nutzer oft ein Smartphone. Zukunftsweisend sind hier Informationsstellen wie digitale Tafeln und interaktive Bildschirme, die sich intuitiv bedienen lassen und die für Senioren gut lesbar sind.
Ein weiteres Problemfeld ist das lückenhafte Netz des ÖPNV. Lösungsorientierte Kommunen füllen es beispielsweise mit einem flexiblen Fahrdienst auf Abruf. Dieses Modell hat beispielsweise die Stadt Münster eingerichtet, um den außerhalb liegenden Stadtteil Hiltrup ans Zentrum anzubinden. Mit Erfolg: In den ersten 27 Monaten wurde der „Loop Münster“ bereits über 400.000-mal in Anspruch genommen.
Verkehrsplanung
Gemeinsam mit anderen europäischen Städten hat sich auch Hamburg dem EU-Projekt Green Silver Age Mobility (Greensam) angeschlossen. Je nach Ausgangslage der Kommunen werden in seinem Rahmen verschiedene Problemfelder bearbeitet.
Im Falle der Hansestadt gibt es kein Leuchtturmprojekt, sondern die Veränderung kleiner Details überall im Stadtgebiet. So wurden Bushalte- und -umsteigestellen barrierefrei gestaltet und mehr Sitzbänke installiert. Fußgänger profitieren vielerorts von einer klaren Führung der Radwege, mehr Grünanlagen und einer besseren Beleuchtung.
Problemfall ländliche Umgebung
Wer im weiteren Umland eines Oberzentrums wohnt, hat häufig ein Mobilitätsproblem. Viele Senioren, die nicht mehr mit dem eigenen Auto unterwegs sein wollen, bleiben aufgrund der schlechten ÖPNV-Verbindungen häufiger zuhause als es ihnen lieb ist.
Hier können neben alternativen Fahrdiensten wie dem Münster Loop auch Bürgerbusse, Mitfahrbörsen oder Fahrgemeinschaften einspringen. Ein mobiler Dorfladen oder ein Dorfladen als Gemeinschaftsprojekt hilft dabei, den täglichen Bedarf zu decken, schafft soziale Kontakte und reduziert Benzinverbrauch und CO2-Emissionen pro Kopf.

Eine altersgerechte Gestaltung der Haltestellen und eine gute ÖPNV-Infrastruktur sind für Senioren wichtige Aspekte. | © sururu – stock.adobe.com
Beispiele für seniorenfreundliche Städte
Jeder will alt werden, aber kaum jemand alt sein. Den bekannten Spruch können Senioren noch erweitern um die Dimension: Wo will ich denn am liebsten alt sein?
Dieser Frage gehen jährlich Statistiker auf den Grund, indem sie Deutschlands Groß- und Kleinstädte nach einem festen Kriterienkatalog bewerten lassen. Dabei beziehen sie 67 verschiedene Faktoren mit ein: von der Anzahl der Senioren unter den Einwohnern, über die Freizeitmöglichkeiten, die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten bis hin zur Kriminalstatistik. Im Ergebnis erreichen die folgenden Städte und Kreise in punkto Lebensqualität für Ältere die Top 3:
Seniorenfreundliche Kleinstädte von 10.000 bis 20.000 Einwohnern:
- Bad Windsheim
Dieser Kurort in Mittelfranken bietet seinen 12.000 Einwohnern und zahlreichen Gästen vor allem Erholung und Kultur. Neben den heilsamen Solequellen und der Frankentherme gibt es hier diverse Museen und Freilichttheater. Unter dem Titel „Wellness, Wein und Wandern“ fasst der Ort seine Qualitäten zusammen, die nicht nur Touristen täglich genießen.
- Bad Neustadt an der Saale
Die 15.000 Einwohner starke Kleinstadt profitiert von einer außergewöhnlich guten Infrastruktur. Für die medizinische Versorgung steht die renommierte Rhön-Klinik, für die überregionale Anbindung die Bahnroute Scheinfurt-Meiningen. Als großer Arbeitgeber ist Siemens ansässig, sodass auch Kinder und Enkel einen Grund zum Bleiben finden.
- Bad Wildungen
Die Stadt mit 17.000 Einwohnern lebt als Kurort von ihrem Heilbäderzentrum und ist stark touristisch orientiert. Diese Ausrichtung kommt auch den Einwohnern zugute: Die Gesundheitsversorgung sichern die Kliniken, die in der hauseigenen Krankenpflegeschule den Nachwuchs ausbilden.
Weitere Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder und Enkel bietet der Standort der Technischen Hochschule Mittelhessen. Die älteren Semester können derweil den Kurpark, den Skulpturenpark oder das Gelände der ehemaligen Bundesgartenschau genießen oder sich kulinarisch verwöhnen lassen.
Seniorenfreundliche Städte von 20.000 bis 75.000 Einwohnern:
- Bad Kissingen
Die bayrische Kreisstadt definiert sich selbst als Lebensraum für Menschen aller Generationen. Speziell der Seniorenpolitik misst sie eine wichtige Rolle zu, verkörpert durch eine eigens ernannte Seniorenbeauftragte, die als Bindeglied zwischen Stadtrat und älteren Bürgern fungiert. Parallel dazu will die Bürgerinitiative „Mach mit“ Senioren dabei unterstützen, ihren Hobbys nachzugehen und ihre Zeit gewinnbringend zu gestalten.
- Günzburg
In der schwäbischen Kreisstadt lebt die Gesellschaft vom Zusammenwirken der Generationen von beiden Seiten. So bietet die Stadt etwa eine „Smartphone-Sprechstunde“ an, in der Schüler die ältere Generation bei der Handhabung des eigenen Handys anleiten. Im Gegenzug beraten Günzburger „AktivSenioren“, die ihre Karriere für den Ruhestand beendet haben, lokale Firmengründer aus ihrer jahrzehntelangen Berufserfahrung.
- Bad Neuenahr-Ahrweiler
Die Stadt in Rheinland-Pfalz hat ihre Angebote für Seniorinnen und Senioren von einer eigenen Arbeitsgruppe zusammenfassen lassen. Darunter finden sich Aktivangebote wie Gymnastik, ein Computerstammtisch oder Gedächtnistraining sowie medizinische Versorgungsmöglichkeiten über den Caritasverband oder den lokalen Pflegestützpunkt. Kostenlose Fahrdienste und psychologische Unterstützung im Alltag und im Trauerfall runden das Angebot ab.

Bei Projekten wie der „Smartphone-Sprechstunde“ lernen ältere Personen den Umgang mit moderner Technik, die sie wiederum für mehr Mobilität in der Stadt nutzen können. | © 9nong – stock.adobe.com
In welchen Metropolen und Regionen leben Senioren am besten?
Auch hier interessiert die Statistiker nicht das persönliche Empfinden, sondern die harten Fakten: Wie viele Unfälle werden beispielsweise unter Senioren pro Jahr registriert? Wie steht es um die wirtschaftlichen Verhältnisse der Älteren? Und wie gut ist die öffentliche Verkehrsanbindung?
In diesem Lebensqualitäts-Ranking liegen ostdeutsche Städte wie Jena, Weimar und Potsdam weit vorn. Dort sind die Mieten noch bezahlbar, während die Investitionen nach der Wende für gute Infrastruktur gesorgt haben. Nach Auswertung der Daten aus 401 Städten und Kreisen ergeben sich diese Top 3:
-
Jena
Viel Erholungsfläche und eine gute Gesundheitsversorgung – das mögen Senioren an der Universitätsstadt im Osten Deutschlands. Hier findet man alle 450 Meter eine Hausarztpraxis und erreicht binnen Minuten das nächste Krankenhaus.
-
Suhl
Diese Stadt in Thüringen ist die ungekrönte Seniorenhauptstadt. Das Durchschnittsalter der 35.000 Einwohner erreicht nämlich den deutschlandweiten Spitzenwert von 50,5 Jahren. Im Vergleich: In studentisch geprägten Gemeinden wie Heidelberg sind die Bewohner im Schnitt rund 10 Jahre jünger. Für seine Einwohner in den besten Jahren bietet Suhl vor allem viel in den Bereichen Sicherheit und Infrastruktur – hier passieren Senioren die wenigsten Unfälle.
-
Hochtaunuskreis
Diese Region bietet scheinbar allen Generationen etwas. Während sie im Senioren-Ranking Rang 3 belegt, erreicht sie im Familien-Ranking den Spitzenplatz. Hier ist die Gesundheitsversorgung gut, die Familieneinkommen überdurchschnittlich und die Anzahl der Schulabgänger ohne Abschluss unterdurchschnittlich.
Fazit: Seniorenfreundliche Städte sind möglich
Vom Ausbau des ÖPNV über Nachbarschaftshilfe bis hin zum Elektromobil-Sharing – es gibt viele Elemente, die Senioren ihr Stadtleben lebenswerter gestalten. Besonderen Fokus legen Forscher heutzutage aber auf die Einbindung von Mensch-Technik-Interaktion (MTI), weil sie die individuellen Bedürfnisse mit den städtebaulichen Gegebenheiten optimal verknüpfen kann.
Rasch eine Parkbank zum Ausruhen finden, bei Bedarf einen fahrbaren Untersatz bestellen und vielerorts barrierefreie Informationen erhalten – diese Bedürfnisse sollten seniorenfreundliche Städte bald erfüllen können.